An was glauben Sie? Religion spielt bei Stefan Gwildis' Konzerten eine wichtige Rolle, allerdings eher im humorvollen Sinne. Der Sänger glaubt an die Wanderung von Seelen und an einen großen Geist, der über allem schwebt

Hätte Jesus früher Konzerte gegeben, sie müssten so abgelaufen sein wie bei Stefan Gwildis: Die Fans werden mit einem herzlichen "Halleluja!" begrüßt. Es folgt die Aufforderung des Stars: "Liebe Gemeinde, wir wollen singen", und schon erheben sich die Stimmen wie ein Engelschor und trällern seinen Hit "Allem Anschein nach bist Du's". Der angebetete "Du" und Chorleiter Stefan Gwildis gibt an diesem Abend ein Konzert in Buchholz, 550 Jünger sind ihm in die Stadt gefolgt.

Nach spätestens zehn Minuten hat Gwildis eine enge Verbundenheit zwischen sich, seiner Gitarre und den Zuhörern aufgebaut. "Für mich ist ein Konzert etwas Spirituelles, fast wie ein Gottesdienst", sagt Gwildis ein paar Tage später beim Interview im Literaturhauscafé. "Für gut zwei Stunden soll sich eine Gemeinschaft bilden, die Leute können sich mal öffnen."

Die grauen Haare des 52-Jährigen sind gerade farblich kaum vom Himmel über der Alster zu unterscheiden, die müde vor sich hin plätschert. Gwildis hingegen, dieser George Clooney der deutschen Musikszene, bestellt eine heiße Zitrone und versprüht Witz und Optimismus.

In seinen Soul-Songs übersetzt der gebürtige Barmbeker Klassiker von Otis Redding, Bill Withers oder Ray Charles auf eigenwillige Weise ins Deutsche. Aus "Papa was a Rollin' Stone" wird bei ihm "Papa will da nicht mehr wohn", "Walking in Memphis" verwandelt sich in "Gestern war gestern". Die Texte sind frech, gleichzeitig versöhnlich und hoffnungsfroh. "Lieder können motivieren. Wir Künstler sind schon ein bisschen wie Prediger", glaubt der Soulman, der sein Publikum gerne mit "Bruder und Schwester" anspricht.

Inspiriert haben den Sänger Soul-Gottesdienste in den USA

Religiöse Elemente spielen eine große Rolle bei Gwildis' Auftritten. Inspiriert wurde er dazu in Soul-Gottesdiensten, die er bei Reisen in die USA immer wieder besuchte. "In dieser tollen Atmosphäre aus Respekt und Toleranz habe ich mich gleich zu Hause gefühlt." Eine Stimmung, die er in heimischen Gotteshäusern allerdings vermisst. "Religiöse und spirituelle Themen interessieren mich sehr", erzählt Gwildis. "Ich glaube daran, dass es einen großen Geist gibt, der über uns allen schwebt. Aber schon als kleiner Junge konnte ich mit dem starren Gebilde der Kirche nichts anfangen." Geistliche wie den Pastor Dorn, bei dem er den Konfirmationsunterricht besuchte, oder den ehemaligen Pastor des Michel, Heinrich Kuhfuss, habe er aber großartig gefunden, die seien auch mal mit ihren Schäfchen um die Häuser gezogen. Ungewöhnlich findet er auch Margot Käßmann, weshalb Gwildis bedauert, dass sie als EKD-Ratsvorsitzende und Bischöfin zurückgetreten ist. "Sie war eine wichtige Kraft und hätte noch mehr Unterstützung verdient, auch aus den eigenen Reihen."

Und welche Aufgabe habe die Kirche seiner Meinung nach heute grundsätzlich? Gwildis fordert: "Sie muss aufstehen! Den Finger in die Wunde legen, zum Beispiel bei umstrittenen Themen wie dem Afghanistan-Einsatz. Dieser Krieg kann nicht in ihrem Sinne sein."

In seinen Konzerten muss so mancher treuer Christ Humor beweisen, wenn Gwildis sich etwa mit einer Porreestange bei unkeuschen Gedanken geißelt oder fragt, wer im Saal denn katholisch sei. "Kein Problem, wir spielen auch für Randgruppen." Verärgert wäre deshalb niemand. Denn Gwildis gehört der seltenen Spezies Mensch an, zu der irgendwie nur gute Gedanken und Absichten passen.

Der Sänger betrachtet Religion von der humorvollen, praktischen Seite. So begann er ein Theologiestudium, weil ihn die Stellenbörse an der Hamburger Uni lockte. Er besuchte eine einzige Vorlesung "eine Dreiviertelstunde lang", den angebotenen Jobs hingegen widmete er mehr Aufmerksamkeit: Gwildis schleppte Säcke bei einem Schiffsausrüster, fuhr Lkw, stellte Sonnenbänke auf, trat als Weihnachtsmann auf, schrieb Musicals und spielte in Kneipen. Malochen musste er nicht nur für sich, sondern auch für seine erste Frau, die er mit 17 kennenlernte, und die drei Stiefsöhne.

Als schließlich 2003 mit dem Album "Neues Spiel" der große Erfolg kam, war "Mr. Gänsehaut", wie ihn "Bild" fortan nannte, bereits 45 Jahre alt. Als Spätstarter würde er sich dennoch nicht bezeichnen: "Ich fand es schon erfolgreich, vor 20 Leuten in den Colonnaden auftreten zu dürfen."

Heute ist Gwildis weit oben, auch weil er weiß, was unten bedeutet. Vor ein paar Jahren starb sein Vater, der Reifenhandel der Familie in der Süderstraße ging pleite, sein Bruder griff zur Flasche und starb mit Anfang 40 an den Folgen. Gebetet habe Gwildis in der schweren Zeit nicht. "Aber ich habe versucht, meinem Bruder gute Gedanken und Energie zu senden. Leider haben sie ihn nicht mehr erreicht."

Stefan Gwildis glaubt daran, dass es ein Leben nach dem Tod gibt

Die schwarzen Stunden hat Stefan Gwildis in Noten verpackt und weggesungen. Er schrieb für die Verstorbenen den Song "Wünscht, du wärst hier", der 2008 seinem vierten Album den Titel gab. Gemeinsam mit seinem alten Kumpel Michy Reincke komponierte er dafür auch die Ballade "Wo bist du grad". Ein Liebessong, bei dem ihn vor allem weibliche Fans anschmachten.

Gwildis' zweite Frau, eine Homöopathin, sei angeblich nie eifersüchtig, erzählt Gwildis. Die beiden haben einen sechsjährigen Sohn, dem sein Vater häufig erklärt, dass das Göttliche nicht zwangsläufig etwas mit einem Mann mit Rauschebart zu tun haben muss: "Es kann sich in jeder Blume finden. Dieser sich ständig wiederholende Schöpfungsvorgang fasziniert mich."

Gwildis' Ansicht nach geschieht dies nicht nur in der Natur. "Ich weiß, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Manchmal treffe ich Menschen, von denen ich glaube, dass sie alte Seelen sind. Ja, ich glaube, dass unsere Seelen weiterwandern." Wenn dem wirklich so sei, trifft der Soulsänger wahrscheinlich irgendwann auch auf die Seele von Jesus. Vielleicht beim Open-Air-Konzert im Stadtpark oder am Berg Sinai.

Am 29.8. gibt Stefan Gwildis ein Open-Air-Konzert im Stadtpark. Weitere Termine unter: www.stefangwildis.de