mit Propst Johann Hinrich Claussen. Das Ungeheuerliche richtig beschreiben

Dieses Thema wird uns noch lange begleiten. Deshalb ist es gut, sich darüber zu verständigen, wie wir darüber reden. Die Medien berichten sehr verantwortungsvoll über diesen Dauerskandal, aber es hat sich in der Gesellschaft ein problematischer Sprachgebrauch eingeschliffen. Alle reden von "Kindesmissbrauch". Das legt die Vermutung nahe, als gäbe es auch einen sinnvollen "Gebrauch" von Kindern. Aber Kinder sind keine Gebrauchsgegenstände. Sie haben eine Würde, und das heißt, dass niemand sie benutzen oder gebrauchen darf. Deshalb sollten wir nicht von "Missbrauch" reden, sondern sagen, was Sache ist. Es geht um "sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche". Ich weiß, Journalisten, Politiker und Kirchenführer sind eilige Menschen. Aber so viel Zeit sollte sein. Wer es kürzer möchte, kann auf ein altertümlich klingendes, aber sehr angemessenes Wort zurückgreifen: "Schändung".

Auch eine andere Begrifflichkeit ist falsch. Man sagt "Pädophilie", das heißt übersetzt "Kinderliebe", oder man sagt "Päderast" - das ist der "Kindesliebhaber". Nichts könnte mehr in die Irre führen. Wer Kinder liebt, achtet sie in ihrem Sein. Er würde sie nie bedrängen oder verletzen. Das wäre für ihn ein Tabu. Wer dieses bricht, empfindet keine Liebe zu Kindern, sondern ihm bereitet es Lust, Macht über Wehrlose auszuüben. Man müsste ihn "kratophil" nennen, auch "Misopädie", "Hass auf Kinder", wäre richtig, aber beides ist kompliziert.

Wichtiger, als die richtige Bezeichnung der Täter zu finden, ist es aber, sich die eigene Verantwortung klarzumachen. Mir hilft dabei das Vorbild Jesu. Er war in Wahrheit kinderlieb: "Lasst die Kinder zu mir kommen und hindert sie nicht. Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen." Damit redete er keiner sentimentalen Kinderschwärmerei das Wort. Wie ernst es ihm mit den Kindern war, belegt ein anderes, weniger bekanntes Jesus-Wort: "Wer einen dieser Kleinen verführt, für den wäre es besser, dass ihm ein Mühlstein an den Hals gehängt und er ins Meer geworfen würde." Das ist keine Aufforderung zur Selbstjustiz im Umgang mit Sexualstraftätern, aber es schärft die ungeheure Verantwortung ein, die wir Erwachsene im Umgang mit Kindern haben - gerade in den Kirchen.