Vor 20 Jahren leitete der „Umfaller“ des kleinen Benz die Einführung des ESP ein

Am 21. Oktober 1997 kippte die ­A-Klasse beim „Elchtest“ genannten Ausweichmanöver der schwedischen Zeitschrift „Teknikens Värld“ um. 20 Jahre später kann man darüber urteilen: ein Glücksfall der Automobilgeschichte, der Tausenden von ­Menschen das Leben gerettet hat. Ohne die spektakulären Bilder des Umstürzlers und den folgenden Skandal hätte es die anschließende Umrüstung auf den ­serienmäßigen Schleuderschutz ESP für den Baby-Benz so nicht gegeben. In der Folge setzte sich das wichtigste Element der aktiven Sicherheit im Auto innerhalb weniger Jahre durch.

Die A-Klasse, der erste kleine Benz seit der Vorkriegszeit, verkauft Daimler schon lange vor ihrem Erscheinen als die „Revolution im Automobilbau“. Als sie bei Tests in der Nähe von Stockholm kippt, wird davon der Vorstand und auch die deutsche Automobilpresse auf der fernen Motor Show in Tokio überrascht und der Vorfall gar nicht richtig ernst genommen. Erst die Bilder in den „Tagesthemen“ vom erneuten ­erfolgreichen Umsturzversuch der „Auto Bild“ ändern die öffentliche Wahrnehmung.

Daimler reagiert mit einer beispiellosen Rückrufaktion

Pikant: Als der Redakteur ­Michael Specht, dessen Artikel heutzutage auch in dieser Zeitung erscheinen, unbeabsichtigt beim Warmfahren die A-Klasse auf die Seite legt, laufen noch gar keine Kameras mit. Die berühmten Aufnahmen vom Umkippen zeigen eine bereits verunfallte A-Klasse, dazu noch mit unterschiedlichen Reifen bestückt. Das Foto des im 45-Grad-Winkel „schwebenden“ Sternchens wird später der Fotoredaktion des Blatts abgekauft und unter Verschluss gehalten.

Daimler reagiert auf den Elchtest mit einer bis dahin beispiellosen Rückrufaktion, sammelt Tausende bereits ausgelieferte Fahrzeuge wieder ein und stattet sie mit dem Elek­tronischen ­Stabilitätsprogramm aus. Dessen Nachrüstung galt zuvor als unmöglich. Das behauptet Audi auch noch dann, als es mehrere tödliche Schleuderunfälle mit dem überzüchteten TT Coupé gibt – um es am Ende doch nachträglich mit ESP auszustatten. Nach der Umrüstung der A-Klasse führt Niki Lauda für Mercedes der Weltpresse vor, dass selbst er die neue A-Klasse beim schnellen Spurwechsel nicht zum Kippen bringen kann.

In der Folge kippte auch das bis ­dahin eherne Gesetz, dass sich neue ­Sicherheitstechnik im Auto nur mit der Geschwindigkeit einer Schnecke von der Ober- in die Unterklasse verbreitet, getreu dem Motto „Wenn du arm bist, musst du früher sterben“. Den Schleuderschutz, der durch gezieltes Abbremsen einzelner Räder die Fahrstabilität wiederherstellen kann, hatte es zuvor nur im Luxuscoupé CL gegeben.

Innerhalb kürzester Zeit mussten andere Hersteller nachziehen. Der Golf erhielt in der Folge bereits 1999 ESP als Serienausstattung. Mit den rapide ­steigenden Stückzahlen sank der Herstellungspreis drastisch auf heute nur noch wenige Euro. Seit 2014 schließlich dürfen in der EU Neuwagen nur noch mit dem Elek­tro­ni­schen Stabilitätsprogramm verkauft werden.

Die anderen bahnbrechenden ­Sicherheitsmaßnahmen hatten viel länger gebraucht, um sich durchzusetzen: Der vergleichsweise simple Dreipunktgurt brauchte 20 Jahre von seinen ­Anfängen als Serienausstattung bei Volvo in Schweden bis zur verpflichtenden Serienausstattung auf allen Plätzen für alle neuen Pkw in Deutschland im Jahr 1979. Zu dem Zeitpunkt rollten viele Neuwagen noch ohne die 1953 bei Jaguar eingeführten Scheibenbremsen vom Band.

Das 1978 von Bosch erfundene elektronische Antiblockiersystem ­(ABS) startete als teures Extra in der ­S-Klasse und brauchte über 25 Jahre, um in Europa Standard zu werden. Und der Airbag? Kostete 1981 in der S-Klasse 1500 DM zusätzlich, ging auf den ­langen Marsch durch die Instanzen und war 1992 zumindest als Extra im Golf angekommen. Den Airbag auf ­allen Plätzen gibt es aber auch heute noch nicht verpflichtend, geschweige denn automatische Notbremssysteme.