Dirk Oehlerking baut individuelle Einzelstücke mit Stil und Ästhetik

Wie aus einem Jules-Verne-Roman entsprungen, scheint das fantastische weiße Bike mit den Messing-Accessoires trotz seiner riesengroßen Räder vor Leichtigkeit zu schweben. Hinter dem auf der letzten Intermot preisgekrönten Custom-BMW steckt Dirk Oehlerking, selbst auch ein Unikat aus Gelsenkirchen, auf das sie beim weißblauen Hersteller in München aufmerksam geworden sind.

Oehlerking, 53, ginge auch als smarter Mastermind eines Start-ups für irgendetwas Zukunftsträchtiges durch, jedenfalls hat er die Gabe, seinen Gesprächspartner sofort in den Bann zu ziehen, so viel vorweg. Eigentlich kommt er aus Niedersachsen, fuhr mit sechs Jahren bereits NSU Quickly, das erste Motocross-Rennen mit Gummistiefeln, das er ebenso gewann wie später die Deutsche Meisterschaft beim Endurofahren. Ins Revier führte ihn seine Frau. 14 Jahre lang war er ­Yamaha-Vertragshändler in Wattenscheid.

Die meisten Umbauten haben ihre Wurzeln im Rennsport

Und schmiss dann Ende 2010 plötzlich alles hin, angefixt von der Idee, selbst Custom-Motorräder zu bauen, also sehr individuelle Einzelstücke, bei denen Ästhetik und Stil im Vordergrund stehen, nicht die Leistung, geschweige denn die Alltagstauglichkeit – das Motorrad als Kunstwerk. Zumeist steht der Motor im Vordergrund, und die Einheit von Mann und Maschine.

Gleich mit seinen ersten Umbauten (Yamaha SR 500) kam Oehlerking an. 2012 gründete er seine neue Firma unter dem Wortspiel-Namen Kingston Custom. Die meisten Traditionen hinter dem Customizing stammen aus dem angelsächsischen Raum, zumeist mit motorsportlichem Hintergrund wie bei den Cafe Racern. Auch die teils grotesk verlängerten „Easy Rider“-Chopper von Harley haben ihre Wurzeln im Rennsport.

Oehlerkings metallic-roter BMW-Bobber machte ihn in der Szene bekannt. „Das meistgepostete Fahrzeug aller Zeiten“, sagt er. Das tiefergelegte Kunstwerk auf Basis eines alten „Bullen-Krads“ von BMW mit dem charakteristischen, zu beiden Seiten mit seinen Zylindern ins Auge stechendem Boxermotor wurde stilbildend. So stilbildend, dass es inzwischen dreiste Kopien der aufs Wesentliche reduzierten Maschine gibt. Selbst Hasser der als Gummikuh verschrienen und als Standard-Kraftrad der BRD-Polizei eingesetzten BMWs fühlen sich zu wohlwollendem Kopfnicken animiert.

Nur rund fünf Custom-Motorräder baut Oehlerking im Jahr gänzlich solo in seiner Werkstatt, einer aufgegebenen Bäckerei in Gelsenkirchen. Über die Preise seiner Unikate im fünfstelligen Bereich möchte er nicht reden, nur so viel: Es ist ein weites Feld, stecken doch beispielsweise in der Phantom neben teurer Technik 500 bis 600 Arbeitsstunden. Kunden, zumeist Männer in den besten Jahren ohne finanzielle Sorgen, empfängt Oehlerking lieber in seinem Wohnzimmer, in dem eines seiner ersten Werke (britische AJS 500) steht, als in der Werkstatt. Denn außer bei der Frage des grundsätzlichen Umbaustils und der Lackierung habe der Kunde kein Mitspracherecht, und ein Graus sind ihm Über-die-Schulter-Schauer an der Werkbank.

„Ich bin kein Dienstleister“, sagt Oehlerking, und: „Wer nach der PS-Leistung fragt, ist bei mir falsch“. 200 in der Werkstatt aufgereihte Motorsport-Pokale belegen jedoch, dass Oehlerking nichts gegen Leistung hat. Die Phantom hat einen Turbolader, und das probate Motordopingmittel findet sich auch an anderen Projekten. Genauso wie die Zündkerze als Zündschlüssel, ein Kingston-Markenzeichen. Zum Motorradfahren kommt Oehlerking selbst nur noch selten. Mit der Phantom wird er einige Sprintrennen bestreiten. Bei den Schauläufen für Auserwählte fährt er für BMW, ein Ritterschlag.

Auch in Hamburg gibt es Werkstätten, die sich aufs Customizing von ­Motorrädern spezialisiert haben, dazu gehören unter anderem Zeitlos, Tel. 040/43 27 14 44, www.zeitlos-motor.de sowie Hanse Qustom, Tel. 040/80 79 02 15-7, ­hanse-qustom.de.