Noch wird der Mercedes Probe gefahren, doch schon im September soll er – mit viel Platz und manchen Raffinessen – auf den Markt kommen

Winter ist auch nur ein Wort. Zumindest für Männer wie Christian Früh. Zwar hat der Ingenieur privat nichts gegen Eis und Schnee. Doch dienstlich zieht es ihn gerade in wärmere Gefilde. Denn Früh verantwortet in der Mercedes-Entwicklung die E-Klasse, und er legt gerade letzte Hand an das neue Cabrio, mit dessen Premiere die Schwaben auf dem Genfer Salon den Generationswechsel ihrer wichtigsten Baureihe abschließen.

Im Verdeck gibt es Lampenfür die Hinterbänkler

Während die Kollegen daheim in Sindelfingen bei Minusgraden bibbern, ist er in Arizona bei der sogenannten Heißlanderprobung und nimmt seine vier Prototypen auf dem geheimen Testgelände und den einsamen Landstraßen drumherum härter ran als jeder Kunde. „Konstruktiv sind die Autos fertig. Aber hier gibt es den Feinschliff“, sagt Früh und horcht mit spitzen Ohren tief in die Karosserie hinein, während sich das Auto auf ausgesucht schlechten Straßen bei Vollgas windet und schindet. Er fühlt nach Vibrationen, schaut, ob irgendwo Staub eindringt oder in der Mechanik schleift, achtet auf das flüchtigste Flattern am Dach und lauscht nach jedem noch so kleinen Störgeräusch.

Dass die E-Klasse im Hinterland von Phoenix Meile um Meile abspult, dient zwar vor allem den Härtetests, damit später nichts rattert und klappert und das Verdeck auch unter widrigsten Umständen tadellos öffnet und schließt, ohne dass im Stoff hässliche Krähenfüße, Falten oder Wellen bleiben. Doch im Prinzip simuliert die Tour über den Apache Trail auch den sogenannten Use Case, den alltäglichen Einsatz, für den Früh das Open-Air-Modell konzipiert hat: „Wir sehen in der offenen ­E-Klasse ein Cabrio, das als vollwertiger Viersitzer absolut alltagstauglich ist“, sagt der Ingenieur und grenzt den Wagen damit nicht nur von der Konkurrenz ab, sondern auch von der optisch kaum kleineren C-Klasse. Die ­S-Klasse mag mehr Status bieten, mehr Luxus und stärkere Motoren, aber nicht mehr Freiraum. Der BMW Sechser mag höher positioniert sein, bietet aber weniger Platz, genau wie der Bentley Continental GTC. Und der Audi A5 fährt eher gegen die C-Klasse. Viel mehr als den Rolls-Royce Dawn muss Früh deshalb nicht fürchten.

Verantwortlich für die neue Raumordnung ist vor allem das neue Format. Schließlich ist das Cabrio nicht nur sieben Zentimeter breiter als der Vorgänger, steht entsprechend satter auf der Straße und hat bei schnellen Kurvenpassagen einen stabileren Stand. Vor allem geht das Auto um zwölf Zentimeter in die Länge. Wenn man erst einmal hineingeklettert ist, kann man deshalb selbst auf den etwas kurzen Polstern im Fond tatsächlich ganz ordentlich sitzen. Und 390 Liter Kofferraumvolumen sind für ein Cabrio wirklich kein schlechter Wert.

Weil Mercedes es ernst meint mit der Alltagstauglichkeit, haben die Schwaben zudem wie schon in der C-Klasse serienmäßig eine umklappbare Rückbank eingebaut. Und weil auch die Sache mit der Viersitzigkeit kein Scherz ist, gibt es im gefütterten Akustik-Verdeck sogar Leselampen für die Hinterbänkler und erstmals in der offenen E-Klasse auch eine Sitzheizung im Fond.

Das Cabrio übernimmt alle Assistenzsysteme, das aufwendige Infotainment und die meisten Motoren der ­E-Klasse. So gibt es mittelfristig Benziner vom 184 PS starken Vierzylinder im E 200 bis zum V6 mit 401 PS im E 43 mit AMG-Logo sowie zwei Diesel mit 194 PS und 258 PS im E 220d und im E 350d. Und zum ersten Mal die Option auf Allradantrieb für gleich vier Modelle. Das Verdeck und Extras wie das ausfahrbare Windschott hinter den Rücksitzen, den Aircap-Spoiler über der Frontscheibe oder die Nackenheizung Airscarf kennt man so vom Cabrio der C-Klasse. Vom Coupé stammen die allermeisten Blechteile sowie die vorderen Sitze. Doch zumindest bei der Abstimmung geht das Cabrio seinen eigenen Weg, nicht nur, weil das offene Auto rund 150 Kilo schwerer ist als das Coupé: „Wir haben das Cabrio als lustvollen Cruiser ausgelegt. Nicht ganz so komfortabel und entspannt wie die Limousine, aber auch nicht so sportlich, stramm und engagiert wie das Coupé“, sagt Früh.

Das zeigt sich auch bei der erweiterten Ausstattung, die einen höheren Grad der Individualisierung und ein paar ausgefallenere Farbkombinationen erlaubt. Über das Jachtblau zum Beispiel oder das Tizianrot auf dem komplett belederten Armaturenbrett musste das Team lange diskutieren. Genau wie über den neuen Duft mit dem passenden Namen Daybrake, den die Schwaben exklusiv für die Zweitürer der E-Klasse kombiniert haben. Preise nennen die Stuttgarter noch keine. Derzeit kostet die Basisversion des offenen E 200 gut 48.500 Euro. Die Neuauflage dürfte vermutlich etwas teurer werde

Bis zur Markteinführung im September wird Früh noch ein paar Testschleifen drehen und dafür bald noch einmal verreisen – in Gegenden, die nicht ganz so sonnig sind wie Arizona. Denn wenn die Kollegen in Deutschland ihre offenen Young- und Oldtimer aus der Garage holen, geht es für ihn zur Wintererprobung am Polarkreis.