Mit dem Defender fällt einer der letzten Dinosaurier in der PS-Welt den Brüsseler Normen für Crashsicherheit und Emissionen zum Opfer.

Jetzt ist es also doch so weit: Zwar hatten die Fans bis zuletzt gehofft, und immer wieder zögerte Land Rover es hinaus. Doch am Freitag, den 29. Januar lief im Stammwerk Solihull tatsächlich der endgültig ultimativ allerletzte Defender vom Band. Mit diesem Wagen Nummer 2016933 fällt einer der letzten Dinosaurier in der PS-Welt der Evo­lution und den Brüsseler Normen für Crash­sicherheit und Emissionen zum Opfer, und es geht eine Geschichte zu Ende, die 1948 begonnen hat und seitdem ohne Unterbrechung fast 70 Jahre lang fortgeschrieben wurde.

Da ist es nur ein schwacher Trost, dass Markenchef Nick Rogers die Trauer im Vereinigten Königreich, im Dschungel und in der Wüste mit ein bisschen Hoffnung mildert: Schließlich entwickelt sein Team mit Hochdruck einen Nachfolger, sagt er wie zum Trost. Doch auch wenn Rogers das als einen „Traum für jeden Ingenieur und jeden Designer“ bezeichnet, ist Enttäuschung programmiert. Erstens, weil es nach Informationen aus Unternehmenskreisen noch mindestens zwei Jahre bis zur Premiere dauern wird und so die erste Lieferpause in der Geschichte des Defenderentsteht. Und zweitens, weil die Briten ein komplett neues Auto entwickeln, das mit dem Original womöglich nur noch den Namen und vielleicht die Silhouette gemein hat.

Das erste Modell hatte eine einfache und unverwüstliche Karosserie

Das war in den vergangenen 70 Jahren anders. Zwar hat der aktuelle Defender anders als die sogenannte Serie 1 von 1948 keinen 1,6-Liter mit 50 PS mehr, sondern einen 2,2-Liter mit 122 PS. Es gibt sogar moderne Errungenschaften wie elektrische Fensterheber, Klimaanlage oder Navigationssystem. Doch neben der Grundform und dem unverwüstlichen Charakter haben sich noch zwei Bauteile von der ersten bis in die letzte Serie gerettet: eine Verdeckklemme und eine Unterbodenstrebe.

Wie so viele Modelle jener Zeit war auch der Land Rover aus der Not geboren: Sein Vater war Maurice Wilks, der Bruder des Rover-Chefs Spencer Wilks. Um die Exportquote zu erhöhen, Devisen einzunehmen und so bei der Rohstoffzuteilung in den Nachkriegsjahren etwas besser abzuschneiden, war er auf der Suche nach einem Wagen, der sich in alle Welt verkaufen ließ – und kam dabei auf ein landwirtschaftliches Nutzfahrzeug: „Ein Rover für den Farmer, mit dem man überall hinkommt und ­alles machen kann, einen universellen Land Rover“, hatte er im Sinn, als er 1947 rund um das Strandhaus der Familie in Anglesey mit mit den ersten Testfahrten begann und zuvor eine Konstruktionsskizze in den Sand zeichnete.

Diese Konstruktion hätte noch einfacher kaum sein können: Zwei starre Achsen, ein Vierzylinder aus dem Rover-Regal, der Allradantrieb mit ent­koppelbarer Vorderachse und eine unverwüstliche Karosserie, die ohne teure Werkzeuge aus Alublechen gedengelt wurde – mehr brauchte es nicht, um die Welt im Kriechgang zu erobern. Und das kann man durchaus wörtlich nehmen. Denn weil alles, was man nicht einbaut, auch nicht kaputtgehen kann, ist der Land Rover das vielleicht spar­tanischste Auto der Welt. Gefederte ­Sitze, ein festes Dach oder eine Kurbel für die Seitenfenster – all das war für die Gebrüder Wilks lästiger Luxus, den sie sich kurzerhand gespart haben.

Das Rezept geht auf und der „Landy“ wird aus dem Stand zum Exportschlager: Schon nach zwei Jahren kann man ihn in 70 Ländern kaufen, heute sind es über 160. Neben Bauern und Buschdoktoren kommen auch Militärs und Monarchen auf den Geschmack, und der Matschpilot von der Insel wird weltweit zum Inbegriff des Geländewagens. Allenfalls der Toyota Land Cruiser, der Mercedes G und der Jeep Wrangler können da noch mithalten. Und vor allem ebnet er den Weg für Modelle wie den Range Rover oder den Evoque, mit denen Land Rover heute wieder ähnlich gute Geschäfte macht.

Firmenchef Dr. Ralf Speth lässt deshalb beim Abschied natürlich auch nichts auf den über zwei Millionen Mal gebaute Veteranen kommen: „Wir würdigen heute die Arbeit von Generationen Frauen und Männern, die Großes geleistet haben, seit die Umrisse des ersten Land Rover in den Sand gezeichnet wurden. Die Vorläufer des heutigen Defender, die Series-Modelle, schufen das Fun­dament jener außergewöhn­lichen Fä­higkeiten, für die Land Rover legendär ist.“

Dass der Defender überhaupt so lange laufen würde, damit hatte keiner gerechnet. Denn immer wieder haben die Briten das Auto totgesagt und ihm dann noch eine Gnadenfrist eingeräumt. Das Ende fußt deshalb auch nicht auf mangelndem Interesse, denn spätestens seit die Restlaufzeit absehbar war, sind die Verkäufe sogar noch einmal nach oben geschossen, berichten die Briten. Doch Emissionsgrenzen und Crashnormen waren für die betagte Konstruktion einfach nicht mehr zu erfüllen, lautet die letale Diagnose von Konstrukteuren und Controllern.

Im Stammwerk Solihull geht auch die Ära der roboterfreien Fertigung zu Ende

Mittlerweile fährt der Defender tatsächlich in jedem Winkel der Welt, und sein Erfolg sei auch ein bisschen den Deutschen zu verdanken, sagt Pressesprecher Mayk Wienkötter und nennt Deutschland nach Großbritannien den größten Markt für den Defender. Dabei ist der kantige Charakterkopf längst vom Arbeitstier zum Lifestyle-Objekt geworden und deshalb in Berlin so gegenwärtig wie in Burma und in Stuttgart genauso zu Hause wie in der Sahara. Nichts zeigt diese Entwicklung besser als der Preis, den das Auktionshaus Bonham’s im letzten Herbst für das zweimillionste Exemplar erlöst hat: Mit 400.000 Pfund hat es fast 1000 mal mehr gekostet als das Urmodell, das 1948 für 450 Pfund verkauft wurde.

Mit dem Defender stirbt nicht nur eine Legende – im Stammwerk Solihull geht ebenfalls eine Ära zu Ende. Denn während rings herum in der Fertigung von Jaguar XE oder Range Rover längst Roboter den Ton angeben, wurde dort der Defender noch vergleichsweise anachronistisch produziert: Produktionschef Greg Nibblet nennt ihn deshalb ein Puzzle aus 8953 Teilen, das in 4190 Montageschritten und 56 Mannstunden zu einem Auto wird. Dabei kommen auf 500 Mitarbeiter pro Schicht gerade einmal sechs Roboter, während es zum Beispiel beim Range Rover mehr als 300 sind. Kein Wunder, dass zum Beispiel ein Discovery Sport acht Stunden schneller vom Band läuft.

Viele der Mitarbeiter werden jetzt umschulen, müssen lernen Roboter zu bedienen oder mit dem Defender in den Ruhestand gehen. Doch Eine kleine Schar von Spezialisten hält dem Dinosaurier die Treue. Denn pünktlich zum Produktionsende starten die Briten ein Heritage-Programm, in dem erfahrene Werker in der ursprünglichen Fertigungshalle zurückgekaufte Klassiker und Kundenfahrzeuge aufarbeiten werden. Spätestens ab Juli gibt es dann in Solihull fast fabrikneue Oldtimer zu kaufen, stellt das Unternehmen in Aussicht. Dann ist im Prinzip wieder fast alles, wie es immer war in den letzten 68 Jahren.

Angst, dass ihnen der Nachschub ausgeht, muss die Heritage-Mannschaft dabei nicht haben: 75 Prozent aller ­Defender sind noch immer im Einsatz.