Als erstes bezahlbares Batteriefahrzeug mit alltagstauglicher Reichweite soll der kleine Chevrolet den Markt für Akku-Autos durcheinanderwirbeln – bald auch als Opel

Dieses Auto hat sich Opel-Chef Karl-Thomas Neumann bei seinem Besuch auf der Motorshow in Detroit genau angeschaut. Schließlich soll der Chevrolet Bolt mit 320 Kilometern Reichweite für subventionierte 30.000 Dollar nicht nur den Markt für Elektroautos in den USA aufmischen, wie GM-Chefin und Neumanns Vorgesetzte Mary Barra bei jeder Gelegenheit betont. Er liefert auch die Basis für das erste reine Batteriefahrzeug von Opel, mit dem die Hessen vom kommenden Jahr an gegen den E-Golf von VW oder den i3 von BMW antreten wollen.

Was angesichts des großen Vorsprungs der Konkurrenten in Wolfsburg und München nach einer schweren Aufgabe aussieht, kann Neumann ach seinem Messebesuch etwas gelassen angehen. Erst recht, wenn er den Bolt nicht nur angeschaut, sondern auch Probegefahren hat. Denn schon als Prototyp mit höchstens 80 Prozent Serienstand macht der elektrische Kleinwagen eine ausgesprochen gute Figur.

Wo viele andere Elektroautos spätestens jenseits der Stadtgrenze echte Spaßbremsen sind, geht dem trotz konventioneller Karosserie bescheidene 1,6 Tonnen schweren Bolt so schnell nicht die Puste aus. Schließlich kommt die E-Maschine im Bug auf 200 PS und 360 Nm. Bei der ersten Testfahrt ­startet er deshalb nicht nur mit ­quietschenden Reifen, sondern schreitet so schnell aus, dass man den Entwicklern die sieben Sekunden von 0 auf 100 km/h unbesehen glaubt. Und wenn sie nicht mit Rücksicht auf die Reichweite, die Getriebeübersetzung und das amerikanische Tempolimit bei 145 km/h den Stecker ziehen würden, wäre mit Bleifuß sicher auch mal die linke Spur drin.

Mit Starkstrom verspricht Barra eine 80-Prozent-Ladung in 60 Minuten

Gespeist wird der Antrieb aus 288 Lithium-Ionen-Zellen des Kooperationspartners LG, die in 96 Blöcken zusammengefasst in einem 435 Kilo schweren Sandwich stecken und auf eine Kapazität von 60 kWh kommen. Auf der einen Seite schafft der Bolt so vielleicht tatsächlich die versprochenen 320 Kilometer. Auf der anderen Seite braucht man dafür aber auch reichlich Geduld beim Laden – oder die entsprechende Infrastruktur. Denn mit Starkstrom verspricht Barra eine 80-Prozent-Ladung in 60 Minuten. Aber mit 240 Volt dauert eine volle Akkuladung eben trotzdem die ganze Nacht.

Weil Chevrolet die Geduld der Kunden nicht unnötig auf die Probe stellen will, geizen die Entwickler mit jedem Watt und haben eine aufwendige Rekuperationstechnik programmiert: Statt mit dem Fuß die konventionelle Bremse zu treten, kann man deshalb auch einen Hebel am Lenkrad ziehen, den Motor zum Generator machen und förmlich zusehen, wie die Energierückgewinnung wieder den Akku füllt. Oder man wechselt gleich in den L-Modus und fährt den Bolt nur noch mit einem Pedal. Denn sobald man dann den Gasfuß lupft, verzögert der Kleinwagen so stark, dass er nach wenigen Metern komplett zum Stillstand kommt – und anders als ein Automatikauto im Kriechgang auch erst wieder mit einem Tritt aufs Fahrpedal davon rollt.

Zwar sind die Amerikaner stolz auf ihren Antrieb mit den soliden Fahrleistungen, auf die üppige Reichweite und auf ein erwachsenes Fahrgefühl, das nicht zuletzt vom tiefen Schwerpunkt und der versteifenden Wirkung des Akkus im Wagenboden rührt. DochWeil die Amerikaner es ernst meinen mit der Alltagstauglichkeit des 4,17-Meter-Stromers, ist der wie eine Mischung aus BMW i3 und Mercedes B-Klasse gezeichnete Kleinwagen auch in ganz konventionellen Kategorien durchaus konkurrenzfähig. Das beginnt bei einem Kofferraum, der mit 478 Litern nicht nur größer ist als beim i3, sondern auch den Honda Jazz aussticht. Das geht weiter über den bequemen Zustieg, für den die Entwickler die Türausschnitte viel tiefer geführt haben als sonst, und den bequemen Durchstieg, weil es im Bolt keinen Mitteltunnel mehr gibt. Und das endet bei der üppigen Kopf- und Kniefreiheit, die dank dünner aber trotzdem bequemer Sitze, des hohen Daches und 2,60 Metern Radstand auf dem Niveau eines Zafira liegt als auf dem eines Meriva.

Und obwohl sie sicher jeden Penney zweimal umgedreht haben, um den Preis nach Abzug der Fördermittel unter die Schallmauer von 30.000 Dollar zu drücken, haben die Ingenieure in die Ausstattung investiert. So fährt der Bolt zum Beispiel serienmäßig mit einem digitalen Cockpit. Er bekommt einen Rückspiegel, der auch während der Fahrt das Bild der Rückfahrkamera einblendet und so den Blick nach hinten optimiert. Und vor allem prangt in der Mittelkonsole immer ein 10,3 Zoll großer Touchscreen. Auf dem laufen erst einmal nur die Diagramme für den Energiefluss, eine speziell für den Elektrobetrieb optimierte Navigation und eine Art Öko-Ranking, mit dem Bolt-Fahrer untereinander ihre Fahr- und Sparleistungen vergleichen können. Später soll das Infotainmentsystem der Hub für immer neue Apps und innovative Mobilitätsdienste bis hin zum Carsharing und dem autonomen Fahren werden, sagt Barra. Deshalb sieht sie im Bolt weniger ein Auto als eine Plattform, die permanent weiterentwickelt und ergänzt wird. Zwar ist der Bolt erst einmal nur auf die USA gemünzt. Doch nicht nur, weil es ihn auch als Opel geben wird, hat er durchaus das Zeug, die Ordnung unter den etablierten Elektroautos gehörig durcheinanderzuwirbeln. Das Design attraktiver als bei BMW i3, die Reichweite größer als bei Nissan Leaf und der Preis niedriger als beim VW E-Golf so könnte sich der Bolt problemlos an die Spitze der Stromer setzen. Wenn es da nicht eine große Unbekannte gäbe: Tesla. Denn nach Model S und Model X hat Firmenchef Elon Musk als Model 3 ebenfalls ein Akkuauto mit Breitenwirkung angekündigt, das um die 30.000 Dollar kosten und 2017 in den Handel kommen soll. Anders als bei General Motors steht der Beweis dafür allerdings noch aus. Und die Geschichte der beiden großen Tesla zeigt, dass es mit der Pünktlichkeit bei den Newcomern nicht ganz so weit her ist.