Sie verkauften sich besser als der Golf, und auch bei den Oldtimer-Zulassungen muss sich Mercedes nur dem Käfer geschlagen geben.

Mehr als drei Jahre Lieferzeit für ein Massenmodell und Gebrauchtwagennotierungen, die noch oberhalb der bereits stolzen Neuwagenpreise liegen, das haben bundesdeutsche Autokäufer bislang nur einmal akzeptiert: Die Ende 1975 in Serie gegangenen Mercedes-Benz-Modelle der Baureihe W 123 waren begehrter und mit 2,7 Millionen gebauten Einheiten erfolgreicher als bis dahin alle anderen Stuttgarter Sternträger.

Was machte die gehobene Mittelklasse der Vier- und Sechszylinder-Benziner 200 bis 280 E und der Vier- und Fünfzylinder-Selbstzünder 200 D bis 300 D so unwiderstehlich? Und für Hardcore-Fans sogar derart einzigartig, dass sie sich am Ende der immerhin elfjährigen Bauzeit noch einen Neuwagen beiseitestellten? Es war der betont bürgerliche Auftritt aller 123er, ihr gediegener Chromglanz ohne Protz, vor allem aber ihre Verlässlichkeit. So ermittelte eine Fachzeitschrift, dass die Fahrer eines 200 Diesel rein rechnerisch über 850.000 Kilometer fahren mussten, um von einer Panne betroffen zu sein. Eine Prüforganisation bescheinigte 1984 sogar noch acht Jahre alten 123ern Platz eins unter den Mängelzwergen bei der gesetzlichen Hauptuntersuchung. Natürlich gab es auch Schwachstellen bei den damals stattliche 4,73 Meter messenden Modellen. Allerdings Trivialitäten gegenüber den Themen Rost und Pannen, von denen viele Wettbewerber geplagt wurden. Weshalb die Untertürkheimer Diesel und Benziner etwa als einzige Pkw sogar den harten arktischen Alltag auf den Geröll- und Eispisten Spitzbergens nahe des Nordpols bewältigten und als altgediente Gebrauchtwagen auch in oft genug einen harten Auslandsjob in afrikanischen Wüsten oder Steppen zu finden waren. Kein Wunder, dass die langlebigen wie genügsamen 123er später ihren Vorgängern, den Strichacht-Modellen (1968 bis 1976), folgten und zum Kultfahrzeug der Klassikerszene avancierten. Heute sind sie sogar zweithäufigster Oldtimer nach dem Käfer.

W-123 bezog verschiedene Teile aus der S-Klasse

„Das neue Maß der Mittelklasse“, lautete die Werbebotschaft zur Markteinführung der Limousinen, die der S-Klasse W 116 ähnelten. Auf ihre Laufzeit Mission als qualitativ beispielhafte Marathonläuferhatten sie sich durch eine außergewöhnlich lange Entwicklungszeit von acht Jahren vorbereitet. Und waren laut Presseinformation auch „hinsichtlich Sicherheit, Fahrkultur, Komfort und Dynamik einmalig“. Was sich zum Beispiel in der neuartigen Sicherheitslenksäule zeigte, die beim Frontalaufprall seitlich wegknickte. Ebenso gehörte die Entwicklung des Airbags dazu, der und in der Vorbereitung für Airbags, die ab 1982 lieferbar war. Oder im ab 1980 verfügbaren ABS-Bremssystem. Überhaupt bezog der W 123 verschiedene Bauteile aus der S-Klasse, so etwa die Doppelquerlenker-Vorderradaufhängung. Auch in den Preisen konnte es ein voll ausgestatteter 280 E leicht mit Autos der Sonderklasse aufnehmen. Kostete der 280 E „nackt“ nur 26.895 Mark, waren es mit Extras bis zu 62.000 Mark. Dafür gab es einen Zwölfzylinder-Jaguar, einen Lamborghini Jarama oder zwei Exemplare der 3,0-Liter-BMW-Spitzenmodelle.

Die billigsten Mercedes-Typen 200 und 200 D begannen bei Preisen von knapp 19.000 Mark, also auf dem Niveau von BMW 520, Volvo 244 oder gut ausgestatteten Ford Granada 2.0. Auch die anderen Vierzylinder mit Stern (230, 220 D und 240 D) waren kaum teurer. Keine Überraschung deshalb, dass Mercedes seine marktbeherrschende Stellung im Taxigeschäft mit dem W 123 weiter ausbaute, aber auch für Privatkunden die populärste Marke der oberen Mittelklasse war. Mit einer Sensation machten die Schwaben Schlagzeilen, als die 123er in allen Karosserievarianten, also mit Coupé, Kombi T-Modell und Limousine mit langem Radstand verfügbar waren: Im Jahr 1980 musste der traditionelle Tabellenführer VW Golf erstmals Mercedes den Königsthron des meistverkauften deutschen Autos überlassen.

Tatsächlich hatte Mercedes kurzzeitig sogar ein praktisches Karosseriekennzeichen der Kompaktklasse für seine Erfolgsmodelle erwogen: eine Fließheckvariante, auf die dann aber 1977 zugunsten des ersten Mercedes-Kombis aus Werksproduktion verzichtet wurde. Erst dieses im neuen Werk Bremen gebaute T-Modell machte die Laster endgültig lifestylefähig, weshalb Audi (1983) und BMW (1985) nachzogen. Noch einen Meilenstein setzte Mercedes im Jahr 1977. Kaum waren die eleganten Hardtop-Coupés 230 C, 280 C und 280 CE eingeführt, ergänzte der 300 CD als weltweit erstes Selbstzünder-Coupé in Großserie das Programm. Zur Enttäuschung vieler europäischer Coupé-Liebhaber gab es den 59 kW/80 PS-Fünfzylinder allerdings nur in den USA.

diese Diesel-Offensive das Ziel verfolgte, den Flottenverbrauch von Mercedes auf die gesetzlichen Vorgaben zu reduzieren.Erst Ende 1984 kam der Nachfolger des beliebten Modells

In Europa zählte dagegen vor allem Leistung, wie sich auch im Vergleich bestätigte, wo der Mercedes 280 etwa dem BMW 528 trotz größeren Komforts unterlag. Wichtiger waren den Fachleuten die besseren Fahrleistungen des BMW. Die Tuningbranche wusste die Lücke zu nutzen, denn AMG, Brabus oder Lorinser schärften die 123er motorisch nach. Mercedes selbst beendete 1977 eine selbstauferlegte 22-jährige Motorsportpause und schickte mehrere überraschend seriennahe 280 E auf die 30.000 Kilometer lange Marathon-Rallye von London nach Sidney.

Ganz in Beschaulichkeit übten sich dagegen die Piloten – meist Taxifahrer – des anfangs nur 40 kW/55 PS bereit haltenden Ölbrenners 200 D. 31 Sekunden benötigte die Tachonadel bis zur 100-km/h-Marke, als Belohnung für die Geduld gab es einen Weltrekord in Sparsamkeit. 8,3 Liter Diesel auf 100 Kilometer lautete der Normwert, bescheidener war kein anderer Selbstzünder. Meistverkaufter Rußwolkenmacher war jedoch der 240 D, dessen Langlebigkeit Legende war. Eine halbe Million Kilometer waren für den 48 kW/65 PS leistenden Vierzylinder fast Pflicht. Nicht nur in Limousine und T-Modell, sondern auch in der 1977 lancierten Langversion mit , die über einem um 63 Zentimeter vergrößertem Radstand. Hotels schätzten diese mit dritter Sitzreihe lieferbare Limousine ebenso wie Staatsführungen, die den langen Benz als relativ billige Repräsentationslimousine einsetzten, aber eher den Sechszylinder 250 oder 300 D.

Nicht vergessen werden dürfen all die Pick-ups, Krankenwagen, Bestattungsfahrzeuge und andere Sonderaufbauten, die diesen Mercedes vielseitiger machten als alle Vorgänger. Zwei Modellpflegen und motorische Aktualisierungen genügten, um die mittelgroße Mercedes-Familie frisch zu halten, bis Ende 1984 der Nachfolger kam.