Auch leichte Auffahrunfälle können recht hohe Kosten verursachen. Worauf Autofahrer achten müssen

Die Ampel zeigt noch Gelb. Der Vordermann bremst scharf. Zu spät. Es kracht. Die Fahrer der beiden Pkw atmen auf, als sie sich das Malheur anschauen. Zum Glück nur ein leichter Blechschaden, denken sie. An der Stoßstange des vorderen Fahrzeugs ist nichts zu sehen. Sie tauschen ihre Adressen aus – und einigen sich, dass der Schaden nicht erheblich ist. Vorsicht, raten Experten: Ein auf den ersten Blick leichter Schaden kann überraschend hohe Kosten nach sich ziehen.

Was erlebt der Fachmann?

Lorenz Niemeyer, Schaden- und Wertgutachter beim TÜV-NORD und zuständig für die Region Hamburg, hat gerade in Steilshoop einen BMW besichtigt, bei dem nach einem leichten Auffahrunfall nur eine Abdruckspur an der Stoßstange zu sehen war. Allerdings funktionierte das Parksensorsystem nicht mehr. Die Stoßstange wurde abgebaut, der Metallträger darunter war eingedrückt und das Kabel defekt. Kosten: 1398 Euro netto. „Das ist ein Klassiker. Eigentlich ist nichts passiert,“ sagt Niemeyer, der für das Hamburger Stadtgebiet zuständig ist. Am häufigsten ist der einfache Unfallschaden im Stadtverkehr, oft sind es Heckschäden. Nicht nur ärgerlich, sondern überdies häufig auch teuer.

Uwe Viebrock, Kfz-Sachverständiger vom Kfz-Sachverständigenbüro Wohlers & Viebrock aus Stade bestätigt: „Bei Heckschäden sieht man oftmals an den Stoßstangen nur leichte Druckspuren und keine erheblichen Beschädigungen. Erst bei einem Kfz-Sachverständigen oder in der Werkstatt wird der eigentliche Schaden offenkundig.“ So können erhebliche Blechschäden am Heckblech, am Unterboden, an den Längsträgern oder am Kofferraumboden entstanden sein. Viebrock: „Das kann leicht 3000 bis 4000 Euro kosten.

Haben zudem die Räder bei dem Unfall Anstoßberührungen erlitten, sind oftmals die Achsenwerte verstellt ohne dass sichtbare Schäden vorliegen, sodass Achskomponenten oder auch das Lenkgetriebe ausgetauscht werden müssen. Diese Schäden können häufig erst bei der Begutachtung durch den Sachverständigen festgestellt werden. Hierbei stellt sich dann ebenfalls die Frage nach der Verkehrssicherheit. „Das kann der Laie nicht beurteilen“, sagt Viebrock. Müssen Achskomponenten oder überdies noch das Lenkgetriebe ausgetauscht werden, kommen ebenfalls leicht 3000 bis 4000 Euro zusammen. Deshalb lohne sich ein Schadengutachten. Dafür ist jedoch einiges zu bedenken.

Wann brauche ich einen Gutachter?

Rüdiger Haun, Dekra-Niederlassungsleiter Hamburg-Süd: „Es gibt viele Gründe, die dafür sprechen, einen Sachverständigen einzuschalten. Unter anderem dienen die erstellten Gutachten der Beweissicherung bei Unfallhergängen mit noch ungeklärter Schuldfrage, aber auch der Schadenfeststellung nach einem Verkehrsunfall.“ Zu unterscheiden sei dabei, ob man Geschädigter, Schädiger oder im Vertragsverhältnis mit einer Versicherung (Kasko) sei. Neben einem Schadengutachten gibt es eine Vielzahl weiterer Gutachten, beispielsweise zur Rekonstruktion des Unfallhergangs oder speziell zu Reifenschäden.

Was gilt noch als Bagatellschaden?

Bagatellschäden sind Reparaturkosten, die unterhalb von 750 Euro liegen. In diesen Fällen zahlt auch die Versicherung die Sachverständigenkosten in der Regel nicht. Heiko Wolframm, Technischer Berater der ADAC-Fahrzeugtechnik: „Da die Bagatellschadengrenze für den Laien nur schwierig einzuschätzen ist, sollte er sich hierzu von einem Sachverständigen beraten lassen.“

Welche Rechte hat der Geschädigte?

„Der Geschädigte hat Anspruch auf die Erstattung des gesamten ihm entstandenen Schadens“, sagt Rüdiger Haun. Bei einem nicht verschuldeten Unfall (Haftpflichtschaden) trägt grundsätzlich die Versicherung des Unfallverursachers die zur Unfallabwicklung erforderlichen Kosten (Rechtsgrundlage §249- 254 BGB). Hierzu zählen auch die Kosten für einen Sachverständigen, einen Rechtsanwalt, einen Mietwagen und die Reparatur des beschädigten Fahrzeugs. Der Geschädigte hat jedoch eine Pflicht zur Schadenminderung. Es dürfen demnach keine unnötigen Kosten verursacht werden wie die Anmietung eines überteuerten Mietwagens. Haun: „Entscheidend ist, der Geschädigte kann bei einem Haftpflichtschadensfall einen Sachverständigen, einen Rechtsanwalt und die Reparaturwerkstatt frei wählen.“

Was raten die Experten?

Erst der Sachverständige kann erkennen, ob es sich wirklich um einen leichten Schaden handelt. „Häufig sind bei einem vermeintlich leichten Blechschaden tragende Teile beschädigt“, sagt Heiko Wolframm. „Es ist ein Irrtum, zu glauben, die Versicherung wird schon wissen, wer als Sachverständiger gut ist.“ Der Geschädigte sollte einen Sachverständigen seines Vertrauens beauftragen, der sicherstellt, dass neben dem Blechschaden auch Wertminderung und Nutzungsausfall richtig ermittelt werden.

Wie findet man einen unabhängigen Gutachter?

Hilfreich sind Empfehlungen durch Freunde und Verwandte. Da die Berufsbezeichnung Kfz-Sachverständiger nicht geschützt und auch kein Meisterbrief erforderlich ist, sollten vor allem öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige beauftragt werden, sagt Wolframm. Eine weitere Möglichkeit sind die beim ADAC gelisteten rund 300Vertragssachverständigen, die Schadenabteilungen von TÜV und Dekra sowie Sachverständige des Bundesverbands der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen (BVSK). Der Bundesverband sowie der Verein Sicherheit und Vertrauen für Unfallgeschädigte raten Geschädigten, auf die Bezeichnung Dipl.-Ing. für Kfz-Technik beim Sachverständigen seiner Wahl zu achten und darauf, dass dieser Mitglied in einem anerkannten Berufsverband ist. Außerdem gilt: Überqualifiziert können Gutachter nicht sein. Es geht schließlich um die Sicherheit des Fahrzeugs und der Insassen.

Was macht der Sachverständige?

Er besichtigt das Fahrzeug, nimmt den Schaden auf, ermittelt die Kosten und den Reparaturweg und stellt außerdem die Wertminderung des Wagens fest.

Reicht nicht auch ein Kostenvoranschlag der Werkstatt?

„Oft wird gedacht, der Kostenvoranschlag der Werkstatt reicht aus“, sagt Wolframm. Dabei werde übersehen, dass mit einem Unfallschaden, auch wenn dieser gering ist, immer ein Wertverlust des Fahrzeugs verbunden ist. „Da in der Werkstatt dieser Wertverlust nicht ermittelt wird, ist ein Gutachten nötig.“

Was kosten Kfz-Gutachten?

Die BVSK-Sachverständigen rechnen überwiegend auf Grundlage der ermittelten Schadenhöhe ab. Der Preis des Gutachtens liegt bei einem Schaden von 2500 Euro etwa bei 313 bis 353 Euro, abhängig von Aufwand und Regionalität. Nebenkosten wie Anfahrt, Telefon und Porto werden gesondert berechnet.

Was gilt für die Unfallaufnahme?

Häufig befassen sich am Unfallort bereits Polizei und gelegentlich auch Sachverständige mit relevanten Daten. Dabei werden laut BVSK viele Autofahrer so sehr verunsichert, dass sie ihre Rechte nicht wahrnehmen. So heißt es zuweilen, dass kein Sachverständiger ohne Rücksprache mit der Versicherung einzuschalten sei oder ein Anwalt nur mit Zustimmung des Versicherers beauftragt werden darf. Laut Verband ersetzt die polizeiliche Unfallaufnahme weder eine Auseinandersetzung mit dem Unfallhergang durch die Beteiligten noch kann sie eine Entscheidung für oder gegen die Hinzuziehung eines Sachverständigen bedeuten.

Wie soll man sich nach einem Unfallverhalten?

Zunächst heißt es Ruhe bewahren und sich nicht von Unfallgegner, Zeugen, Polizei oder Versicherungen einschüchtern lassen, sondern darauf bestehen, dass ein qualifizierter Sachverständiger hinzugezogen wird. „Steht eine Teilschuld im Raum, sollten Geschädigte einen Verkehrsrechtsanwalt hinzuziehen“, sagt ADAC-Sprecherin Bettina Hierath.

Wichtige Adressen: www.bvsk.de , www.unfall.org , www.gutachten.ag , www.adac.de , www.dekra.com , www.tuev-nord.de