Google stellt seinen ersten Prototypen vor, Volvo testet den Autopiloten im Alltag. Es könnte die Idee vom Autofahren genauso verändern wie das iPhone die Kommunikationssitten.

Ein intelligentes Ei, das führerlos durch die Städte surrt, seine Passagiere einsammelt und sie autonom zu individuellen Zielen bringt – noch klingt das nach einer ziemlich abgefahrenen Idee, wie sie nur aus dem Silicon Valley kommen kann. Doch spätestens seit dem Erfolg von Internet-Milliardär Elon Musk und seinem Elektroauto Tesla hat die PS-Branche gelernt, dass die Nerds nicht nur ein Händchen für Bits und Bytes haben, sondern auch Blech biegen und Autos bauen können. Selbst Mercedes als Erfinder des Autos weiß, wo künftig die Musik spielen wird: „In den nächsten zehn Jahren wird sich das Auto stärker verändern als in den letzten fünf Jahrzehnten“, ist Johann Jungwirth, Daimlers Statthalter im Silicon Valley, überzeugt: „Und das meiste davon wird hier seinen Ausgang nehmen.“

Es könnte die Idee vom Autofahren genauso verändern wie das iPhone unsere Kommunikationssitten: das Google Car. Denn nachdem der Internetgigant schon seit Jahren am selbstfahrenden Auto forscht, hat das Unternehmen jetzt am Stammsitz Mountain View im Silicon Valley einen ersten Prototypen vorgestellt und damit auch den Fortgang seiner Entwicklungen vorgezeichnet. Es geht den Amerikanern nicht nur um die Demonstration des technisch Möglichen und die Entwicklung der nötigen Sensoren und Software. Sondern ganz offenbar geht Google selbst unter die Automobilhersteller und baut sein eigenes Auto – zumindest die ersten 100 Exemplare.

So ernst zu nehmend der Vorstoß der Nerds ist, müssen Mercedes & Co. noch nicht um ihre Pfründe fürchten. Denn Google denkt fürs Erste offenbar nicht an ein vollwertiges Auto, sondern lediglich an ein Stadtmobil fürs Einkaufen oder den Weg in die Mittagspause. Entsprechend haben die Amerikaner die Höchstgeschwindigkeit auf etwa 40 km/h limitiert. Aber Projektleiter Chris Urmson ist begeistert von der Aussicht, seine kurze Mittagspause nicht mehr mit der Parkplatzsuche zu vergeuden, weil sein Auto das in Zukunft einfach alleine erledigt. Und während er wieder zurück ins Büro fährt, sind die meisten E-Mails schon gemacht.

Ähnlich sind die Motive im Norden Europas. Denn auch Volvo bietet verlockende Aussichten durch autonomes Fahren: „Wir schenken den Menschen, was ihnen am meisten fehlt: Zeit,“ sagt Anders Eugensson aus dem Projektteam „DriveMe“, das auch bei den Schweden den Autopiloten bis zum Anfang des nächsten Jahrzehnts zur Serienreife entwickeln will. Wo heute noch jede Minute im Stau und im Stop-and-go-Verkehr als verloren gelte, werde man die Rushhour richtig zu schätzen lernen, wenn man ganz legal, sicher und entspannt während der Fahrt E-Mails bearbeiten, im Internet surfen, die Zeitung lesen oder einfach die Augen zu machen kann, ist Eugensson überzeugt. Außerdem könne autonomer Verkehr flüssiger und damit sparsamer rollen. Und vor allem sollen immer schlauere Assistenten Schritt für Schritt das große Volvo-Versprechen einlösen, dass es ab 2020 in einem Neuwagen aus Göteborg keine Schwerverletzten und erst recht keine Toten mehr geben wird.

Der Testwagen kann nicht überholen – ihm fehlen Sensoren zu den Seiten

Allein mit fast serienmäßigen Kameras und Sensoren, einer besonders genauen Positionsbestimmung und einer mit vielen weiteren Details angereicherten Navigationskarte hält der Wagen nicht nur den Abstand zum Vordermann, sondern auch immer die eigene Fahrspur. Zehn Minuten, 15 Minuten, 20 Minuten – wo bei aktuellen Serienautos nach spätestens 15 Sekunden ein Warnton kommt und sich die Assistenzsysteme danach automatisch abschalten, kann Prototyp-Tester Thor die Hände so lange vom Lenkrad lassen, bis er wieder vom Autobahnring abfährt.

Doch mit den autonomen Fähigkeiten von Thors aktuellem S60 ist es noch nicht so weit her: Weil dem Wagen die Sensoren zur Seite hin fehlen, kann er weder überholen, noch die Spur wechseln. Und sobald die Fahrbahnmarkierung mal etwas blasser wird, unterbrochen ist oder ihm ein anderes Auto den Kameras die Sicht raubt, verliert er die Gelassenheit, hat die Hände griffbereit am Lenkrad und muss oft genug korrigierend eingreifen. Und an den zwei, drei Ausfahrten, die er für die komplette Umfahrung der Stadt benutzen muss, quittiert der Autopilot bislang ohnehin den Dienst.

So ist die Idee hinter dem Projekt faszinierend, doch im Augenblick können die Volvos aus der Forschung noch weniger als manche Neuwagen beim Händler: Mercedes S-Klasse oder BMW X5 zum Beispiel haben längst einen Stauassistenten an Bord, der im zähen Verkehr auch den Spurwechsel beherrscht. „Trotzdem gibt es einen entscheidenden Unterschied“, verteidigt Thor den Ansatz der steuerlosen Schweden: „Bei den aktuellen Seriensystemen wird der Fahrer nur entlastet, aber nicht aus Verantwortung entlassen. Wir gehen einen Schritt weiter und kümmern uns alleine ums Fahren. Erst dann kann der Fahrer die verlorene Zeit als Gewinn verbuchen und sich anderweitig beschäftigen.“ Noch ist Drive Me meilenweit entfernt vom uneingeschränkten Autopiloten, wie ihn Technologievisionäre für das Ende des nächsten Jahrzehnts versprechen. Und gemessen an den Abertausenden Testkilometern der Google-Autos in Kalifornien ist das Warm-up der Schweden bislang eine langweilige Nummer. Doch glaubt man Testfahrer Thor, können die Kunden es bis zum Start von Drive Me kaum mehr erwarten. Spätestens wenn er im Stau steht und Zeitung liest, wird er von anderen Autofahren angesprochen, die lieber heute als morgen mit ihm tauschen möchten.