Auto-Test: So fühlt es sich an, im Auto der Zukunft mitzufahren, in dem selbst der Fahrer nur noch ein Passagier ist. Der Mercedes S 500 ist ein Prototyp.

Hamburg. Auf den ersten Metern kann ich es kaum glauben: Wir sitzen zu viert in einer fast normalen Mercedes S-Klasse, plaudern angeregt über dies und das und registrieren gar nicht, dass der Luxusliner längst losgefahren ist. Doch als mein Blick zum ersten Mal auf den Fahrer fällt, trifft mich der Schock um so heftiger: Seine Hände liegen im Schoß und beide Füße sind fest auf dem Boden – und das bei Tempo 70 auf einer Ausfallstraße irgendwo in Baden-Württemberg.

Und auch als die Limousine schneller wird, ändert der Mann hinter dem Lenkrad nichts an seiner Haltung. Tempo 100 auf der Landstraße, Radfahrer auf dem Seitenstreifen, ein Traktor von links im dichten Gegenverkehr, eine Kreuzung mit Tempolimit. Und der Fahrer tut nichts!

Denn alles, was in dieser Situation zu tun ist, kann das Auto auch alleine“, sagt Eberhard Kaus und begrüßt uns zu einer spektakulären Geisterfahrt im Dienste des Fortschritts: „Willkommen an Bord des Mercedes S 500 Intelligent Drive.

Gut zwei Jahre hat der Mann, der so teilnahmslos am Steuer sitzt, zusammen mit zwei Dutzend Kollegen aus der Mercedes-Forschung an diesem Prototypen gearbeitet und die Technik dort so weit aufgerüstet, dass sie sich damit jetzt in den öffentlichen Straßenverkehr getraut haben. Mercedes will beweisen, dass der Autopilot keine ferne Utopie mehr ist.

Die erste Testfahrt führt auf genau jener Route von Mannheim nach Pforzheim, auf der vor 125 Jahren Bertha Benz bei der ersten Langstreckenfahrt eines Automobils unterwegs war.

Während Bertha allerdings allein auf weiter Flur war und allenfalls mal ein paar Pferdefuhrwerken begegnet ist, wird der Verkehr auf der B3 jetzt wieder dichter, am Horizont erkenne ich die Ortseinfahrt von Bad Mingolsheim. Hoffentlich sieht die S-Klasse, die ihre Entwickler angesichts der Fahrstrecke „Bertha“ getauft haben, die gelben Schilder auch, denke ich und starre nervös auf die Monitore, die Forschungschef Ralf Herrtwich im Fond installiert hat.

Dort kann ich sehen, was die Augen der S-Klasse alles erfassen: Das Bild der Stereokamera hinter dem Innenspiegel, die Richtung und Geschwindigkeit von bewegten Objekten ermittelt; die Schemadarstellung, die mithilfe von bald einem Dutzend Nah- und Fernbereichsradaren den Fahrkorridor vorzeichnet. Und ich sehe, wie sich die Limousine durch einen digitalen Datensatz bewegt, der viel, viel genauer ist als bisherige Navigationskarten.

„So viel Informationen wie bei Google Streetview brauchen wir mindestens“, sagt Herrtwich. Zur Verfügung gestellt werden diese momentan vom Lieferanten der Datenbank. Später soll der Wagen sie bei einer geführten Fahrt im Aufnahmemodus selbst erlernen können.

Selbst als ein Bus kreuzt, wird es nicht brenzlig

Die Grafiken und Zahlenkolonnen auf den Bildschirmen sollen zwar Vertrauen erwecken. Doch gespannt bin ich trotzdem, als die S-Klasse nach Bad Mingolsheim hineinrollt. Und irgendwie erleichtert, dass der Tacho tatsächlich nur 50 km/h anzeigt. Aber jetzt geht der Spaß erst los.

Obwohl die Straße enger wird, links und rechts Autos parken und Bertha manchmal stehen bleiben muss, bis im Gegenverkehr eine Lücke bleibt, denkt Kaus nicht daran, dem Autopiloten ins Lenkrad zu greifen. Er vertraut auf Bertha und lässt seine Passagiere schwitzen. Dass Bad Mingolsheim so aufregend sein kann, hätte ich bis zu dieser Fahrt nicht geglaubt.

Doch für die Anspannung gibt es eigentlich keinen Grund. Zwar rollt die S-Klasse jetzt nicht mehr ganz so flüssig wie draußen auf der Landstraße, fährt eher wie Fahrschüler in der Prüfung: übervorsichtig und zurückhaltend. Doch selbst als ihr ein Bus die Vorfahrt nimmt, bremst sie so schnell und sauber, dass es nicht einen Hauch von brenzlig wird, Kaus zufrieden nickt und sich mein Pulsschlag gleich wieder verlangsamt.

Umso überraschender, dass der Projektleiter am Ortsausgang doch eingreifen und Bertha auf die Sprünge helfen muss. Als ein paar Fußgänger winkend am Zebrastreifen stehen und partout nicht über die Straße gehen wollen, verweigert der Prototyp die Weiterfahrt – gelernt ist halt gelernt.

Aber genau darum geht es bei diesem Projekt, sagt Herrtwich: „Wir wollten wissen, wie weit wir schon sind – und lernen, welche Aufgaben wir noch lösen müssen.“ Dabei waren die Entwickler überrascht, was die aktuelle Sensorik schon alles mehr kann als nur die autonome Fahrt im Autobahnstau. Die ist mit dem Generationswechsel bei der S-Klasse gerade in Serie gegangen.

Und die erfolgreiche Fahrt auf den Spuren von Bertha Benz stimmt Herrtwich optimistisch. „Wir werden dem Auto schrittweise auch in Situationen die Führungsaufgabe übertragen, in denen die Geschwindigkeit höher oder das Verkehrsgeschehen unübersichtlicher wird“, stellt er in Aussicht.

Als erstes kommt ihm der Verkehr auf Parkplätzen in den Sinn. Aber noch in dieser Dekade werde es einen Autobahnpiloten geben, der auch jenseits des Staus funktioniert. Und dann sei der Schritt zum echten Autopiloten nicht mehr weit.

Zwar wird es noch mindestens bis zur übernächsten Fahrzeuggeneration dauern, bis Kunden so ein System tatsächlich kaufen können. Und für Männer wie Eberhard Kaus bleiben solche Entwicklungsfahrten Nervenkitzel, die anstrengender sind als selbst zu fahren.

Doch den Stau zur IAA würde ich mir genauso gerne schenken wie Nachtfahrten im Nieselregen oder die Pendelei ins Büro. Für mich könnte der Autopilot lieber heute als morgen kommen. Ich bin reif für die Zukunft und freue mich auf eine Straße voller Geisterfahrer.