Einmal ist immer das erste Mal. Das dachte ich, als ich neulich in einen zunehmend zähflüssigen Stau geriet, die Unfallstelle schon auf der linken Spur sah und dann merkte, dass wir Autofahrer, die Verunglückten und die Unversehrten, nicht länger allein waren. Aus der Luft näherte sich der Rettungshubschrauber, das hatte ich noch nie live gesehen. Etwa 200 Meter vor mir setzte der Heli auf, Vollsperrung, Stillstand, Motor aus.

Na, da kriegen wir ja was geboten, raunte es vom Beifahrersitz. Meine Frau, sie meinte es ironisch. Aber da war sie die Einzige. Denn ich hatte kaum die Hand vom Zündschlüssel genommen, da stieg der BMW-Fahrer neben mir schon aus, zückte seine Kamera und knipste das Rettungsgeschehen.

Gerade wollte ich meine Frau fragen, ob sie das genauso widerlich findet wie ich, da kamen zwischen den Autos schon die ersten Neugierigen zu Fuß angewackelt, sie hielten ihre Smartphones hoch. Als ich meine Fassung wiedergewonnen hatte, wurde mir klar, dass mein Erstaunen naiv war. Im Zeitalter von Leserreportern und sozialen Netzwerken ist ein Übermaß an Neugier und Mitteilungsbedürfnis normal geworden. Wahrscheinlich hatten die Menschen mit den Fotoapparaten nicht mal ein schlechtes Gewissen, sie verhielten sich einfach wie jeden Tag: Etwas Interessantes passiert, also dabei sein, Fotos machen, weiterleiten.

Irgendwann hob der Hubschrauber wieder ab, und wir fuhren langsam an der Unfallstelle vorbei. Langsam, weil alle noch einmal guckten, ich natürlich auch. Das wird landläufig als Gaffen bezeichnet, und schon das Wort ist ein einziger Vorwurf. Nur wird es falsch benutzt.

Es gibt nämlich einen Unterschied zwischen Gaffen und Hinsehen. Wer an einem Unfall vorbeifahren kann und stur geradeaus schaut, der ist kein Mensch. Oder vielleicht doch, aber dann einer mit einer Störung. Menschen interessieren sich für andere Menschen, ob sie einander kennen oder nicht, das Hinsehen ist ein natürlicher und vielfach auch notwendiger Reflex.

Doch aus diesem Reflex haben wir eine bewusste Handlung gemacht. Nicht nur hinsehen, auch hingehen. Ein bisschen im Weg herumstehen. Das Smartphone zücken. Das Bild sofort über Mobilfunk hochladen. Gaffen 2.0. Alles ganz normal inzwischen. Und schrecklich.