Eine Glosse von René Soukup

Die Rostbratwurst gehört zu Thüringen wie Ketchup zu Pommes frites. Und die DDR ist seit 1990 Geschichte und damit genauso mausetot wie die Mauer. Beides ist Realität. Doch so manchem, der auf dem Gelände der ersten deutschen Autobahnraststätte Rodaborn an der A9 in Thüringen haltmacht, drängt sich der Verdacht auf, dass dem dort nicht so ist - oder besser gesagt: sein soll. Dank gesamtdeutscher Bürokratie.

Stein des Anstoßes auf dem Gebiet des ehemaligen Arbeiter- und Bauernstaates ist ein Metallzaun. Den hat das Verkehrsministerium aufgestellt. Aber nicht, um Pkw-Fahrer vor Tieren zu schützen, die bei Nacht und Nebel unkontrolliert über die Fahrbahn laufen. Nein, dieses freiheitsberaubende Element grenzt den Imbiss vom Parkplatz ab. Nix ist es also für Kunden mit dem direkten Weg zur Wurst. Dass auch noch die Notfalltüren im Zaun verriegelt wurden, signalisiert, dass den Behörden die Angelegenheit überhaupt nicht Wurst ist. Denn genau um diese geht es. Den Besitzern des Gebäudes (Baujahr 1928) fehlt die Konzession zum Betreiben einer Autobahnraststätte. Begründung des Landesamts für Bau und Verkehr via TV: Die Lokalität sei nicht zeitgemäß, und ein Versorgungsengpass liege auch nicht vor. Hat etwa ein wesentliches Element der Marktwirtschaft, der freie Wettbewerb, auf diesem Fleckchen Erde keine Berechtigung? Irgendwie riecht das nach Plan(-wirtschaft). Hallo, liebe Behörde, wie war das noch mit dem Aufbau Ost?

Die Hungrigen kommen trotzdem zu ihrem Gourmet-Recht. Sie müssen nur eine Glocke läuten. Dann wird ihnen die Rostbratwurst kurz darauf über den zwei Meter hohen Zaun gereicht. Als Waffe gegen die Bürokratie scheint sich das moderne Geschäftsmodell des "Drive-in" oder auch "Reich-raus" hier etabliert zu haben.

Doch wo Hindernisse stehen, gibt es oft auch Verletzte. So wie im Juli, als sich ein 39-Jähriger bei einem Klettermanöver über den Zaun den Ringfinger abriss. Andere haben sich bei ähnlich waghalsigen Aktionen Verletzungen am Bein zugezogen. Verständlich, dass sich manch einer an die DDR erinnert fühlt. Ältere Leute sollen beim Anblick des Zauns geweint haben. Wenn auch an der A9 alles zusammenwachsen soll, was zusammen gehört, dann gibt es nur eine Lösung: Der Zaun muss weg.