Privates Carsharing liegt voll im Trend. Inzwischen sind Tausende Hamburger Kunden bei Online-Vermittlern angemeldet und nutzen das Angebot.

Hamburg. Anne Weckens Auto steht nicht selten tagelang ungenutzt vor ihrer Wohnung in einer kleinen Nebenstraße im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel. Wie auch ihr Ehemann Roland ist die Selbstständige im Bereich Personalmanagement meistens mit dem Fahrrad unterwegs. "Eigentlich brauchen wir den Wagen nur zum Einkaufen", sagt die 33-Jährige. Und weil er für die Eltern von zwei Kindern kein Statussymbol, sondern ausschließlich Gebrauchsgegenstand ist, der eine oder andere kleine Lackkratzer beide schon längst nicht mehr aufregt, verleihen sie ihren Mazda Premacy gerne an Fremde - gegen eine Gebühr. Privates Carsharing heißt das. In organisierter Form bieten sich Unternehmen wie Tamyca, Autonetzer oder auch Nachbarschaftsauto über das Internet als Vermittler an. Und immer mehr Menschen in Hamburg beteiligen sich daran, ob als Vermieter oder Mieter. Inzwischen sind es Tausende. Für sie ist das Autoteilen das Mobilitätskonzept schlechthin - und der private Weg eine Alternative zu kommerziellen Fahrzeugvermittlern.

Freitag, 18.55 Uhr. Fünf Minuten vor der ausgemachten Zeit klingelt es an Weckens Tür. Es ist der Mieter, Martin Sieben. Der 45 Jahre alte Anzeigenberater lebt in Ottensen und benötigt unter der Woche keinen fahrbaren Untersatz. Jetzt aber will er für zwei Tage zu einer Familienfeier an den Niederrhein. Es ist sein erster Kontakt über Tamyca, ein in Hamburg gegründetes Unternehmen, das inzwischen in Aachen ansässig ist. Warum er ausgerechnet das Auto der Weckens gewählt hat? "Der Preis war der beste", so Sieben. Den bestimmt der Vermieter, bekommt dabei jedoch von Tamyca Hilfestellung. Das Portal gibt als Empfehlung eine Preisspanne an.

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"Ich schaue immer, dass ich ein bisschen günstiger bin als die anderen Anbieter", sagt Wecken. Deswegen hat sie viele Anfragen. Zu einer Vermietung kommt es im Schnitt zweimal pro Monat. Angst, dass sie auch einmal an den Falschen geraten könnte, hat Wecken nicht. Denn sowohl Vermieter als auch Mieter sind wie bei Ebay durch andere Kunden bewertet. "Daran kann man sich orientieren. Und bisher habe ich nur gute Erfahrungen gemacht", erzählt die Vermieterin, während sie mit Sieben das Übergabeprotokoll durchgeht und Ehemann Roland Baby Lotte (vier Monate) schaukelt. Nach zehn Minuten ist alles abgearbeitet, der Kilometerstand (122.000) des Pkw (Baujahr 2001) eingetragen, dazu Beulen und sichtbare Lackschäden vermerkt. Alle Mängel, die später für Ärger sorgen könnten, werden detailliert gelistet.

Doch man merkt es sofort: Vermieter und Mieter sind sich sympathisch, die Atmosphäre ist locker, man ist inzwischen beim Du. Hier wird es bei der Fahrzeugrückgabe gewiss keine Streitigkeiten geben. Dafür sorgt auch eine Vollkaskoversicherung, die der Mieter beim Buchen über das Portal abschließen muss. Im Fall eines Schadens sind beide Parteien auf der sicheren Seite. 98,50 Euro inklusive aller Gebühren, der Versicherungsprämie plus Sprit extra kosten Sieben die zwei Tage. Maximal 800 Kilometer, wie schriftlich vereinbart, darf er fahren. Überschreitet er diesen Wert, muss nachgezahlt werden. Der Vermieter bekommt 74,50 Euro. Das Geld ist zwar auch für Wecken nicht unwichtig, aber eine Idee zu unterstützen, von der man vollends überzeugt ist, sei ein zentrales Motiv, das Auto zu verleihen. "Und man lernt nette Leute kennen", sagt sie.

Dass immer mehr Menschen so denken wie die Eimsbüttelerin, spürt auch Michael Minis, der Geschäftsführer der im August 2010 gegründeten Tamyca GmbH. 300 Fahrzeuge und 2000 Nutzer aus Hamburg - deutschlandweit 2500 Autos und 17 000 Mieter - sind bei ihm inzwischen registriert. Tendenz steigend. Minis' Team besteht aus zehn Personen, mittelfristig wird er aber aufstocken müssen. Denn für seine Firma sieht der Unternehmer viel Luft nach oben: "Wir stecken noch in den Kinderschuhen. Einiges wird sich ändern. Zum Beispiel gehe ich davon aus, dass es sich von der Tagesmiete zum Ausleihen über längere Zeiträume entwickelt."

Ständig die Servicequalität für die Kundschaft zu optimieren, darin sieht Sebastian Ballweg, Gründer des Vermittlers Autonetzer, seine persönliche Herausforderung. "Wir müssen zum Beispiel die Über- und Rückgabe leichter machen." Sein Unternehmen wächst ebenfalls rasant, verzeichnet bei den Kunden bundesweit zweistellige Wachstumsraten pro Monat. In Stuttgart hat die Community die meisten Mitglieder, danach kommen Berlin und Hamburg. Arbeit gibt es durchaus genug. "Wir müssen expandieren, den Kundensupport, das Marketing und die IT-Entwicklung ausbauen", sagt der Stuttgarter.

34 Jahre alt ist der durchschnittliche Vermieter laut Minis beim privaten Carsharing, die Mieter sogar unter 30. Angesichts dieser Zahlen "und der Tatsache, dass wir knapp 43 Millionen Fahrzeuge auf Deutschlands Straßen haben, ist das Potenzial für unsere Branche sehr groß", so Ballweg. Wobei nach Minis' Einschätzung wenige Anbieter den Markt dominieren werden. Mit dem Hamburger Mieter Sieben hat die Branche einen neuen Kunden hinzugewonnen. Ihn hat das Konzept überzeugt: "Für bedarfsorientierte Menschen ist es genau das Richtige." Den Pkw hat er zeitig wieder abgegeben, natürlich ohne einen weiteren Kratzer.