Der “Topolino“ wurde über die Jahrzehnte hinweg zum automobilen Botschafter seines Heimatlandes und gilt seit jeher als Symbol italienischer Lebensart.

Amerika hatte das legendäre Ford T-Modell, Deutschland den VW Käfer - und auch Italien besaß einen einzigartigen automobilen Sympathieträger, den Fiat 500. Vor 75 Jahren feierte er Weltpremiere - als Topolino (Mäuschen) wie er wegen der niedlichen Proportionen und markanten Scheinwerfer liebevoll genannt wurde. Bis heute begeistert der Cinquecento (500) die Menschen wie kaum ein zweites Auto - und dies schon seit drei Modell-Generationen.

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Allein der winzige Fiat überlebte als 500 Topolino (1936-1955) und kultige Knutschkugel Nuova 500 (1957- 1975) alle staatlichen Abwrackaktionen, ihm schlägt nicht nur in Italien uneingeschränkte Sympathie entgegen. Mehr als 4,2 Millionen Exemplare liefen bereits von den ersten zwei Generationen des Urvaters aller Fiat-Kleinwagen vom Band. Davon rund 100 000 übrigens als NSU, Steyr-Puch und Simca in Deutschland, Österreich und Frankreich. Doch gerade die Mäuschen mit dem original Fiat-Logo sind aus jenem Holz geschnitzt, das sie unsterblich macht.

Anfang der 1930er-Jahre war das Automobil in Italien so wie in den meisten Ländern Europas noch immer ein Privileg gehobener Gesellschaftskreise und wohlhabender Kaufleute. Da mutete der Entwicklungsauftrag von Giovanni Agnelli an die Fiat-Techniker fast schon wie eine Sozialrevolution an. "Il Senatore", wie Agnelli respektvoll genannt wurde, forderte ein kleines, sparsames und bezahlbares Auto. Nach nur zwölf Monaten präsentierte der geniale Ingenieur Dante Giacosa den Prototyp Zero A. Firmenchef Agnelli war begeistert und genehmigte die Fließband-Serienproduktion. Der Kaufpreis des Topolino genannten Kleinen sollte 5000 Lire nicht überschreiten, dafür in der Produktion aber die 500 000er-Marke übersteigen. Ziele, die anfangs vollkommen unerreichbar schienen.

Dennoch gelang es Giacosa, mit dem 13 PS leistenden Topolino den Grundstein für die Kleinwagen-Erfolgsgeschichte der Marke zu legen. Tatsächlich eroberte das Mäuschen mit damals innovativer vorderer Einzelradaufhängung und bereits überlandtauglicher Höchstgeschwindigkeit von 85 km/h alle Herzen und Straßen im Sturm. Andererseits sorgten simple technische Lösungen für niedrige Kosten. So sparte man die Kraftstoffpumpe ein, indem das Benzin allein durch die Schwerkraft aus dem über dem Vergaser angeordneten Tank floss. Die meisten Käufer des 2+2-Sitzers wiederum knauserten an der Bestellung der noch aufpreispflichtigen Stoßstangen. Stattdessen gönnten sich fast alle das optionale große Rolldach für mehr Fahrfreude. Nicht weniger als 122 000 Ur-Topolino verließen die Werkshallen, bis nach dem Krieg die Überarbeitung des italienischen Volksautos anstand. Den endgültigen Durchbruch zur Massenmotorisierung leitete in Italien der 1949 vorgestellte Topolino 500 C ein. Mit leicht amerikanisiertem Design fand das Mäuschen in den Jahren des italienischen Wirtschaftsaufschwungs über 376 000 Käufer. Und sogar in Frankreich zählte er als Simca 8 zu jenen Kleinwagen, die das Land mobil machten.

Abgelöst wurde der damals bereits legendäre Topolino gleich von zwei, ebenfalls von Dante Giacosa konstruierten Nachfolgern - dem etwas größeren Fiat 600 (ab 1955) und dem Nuova Fiat 500 (ab 1957). Während der 3,29 Meter lange, rundlich geformte Heckmotorkleinwagen Fiat 600 die Rolle des pragmatischen Volkswagens übernahm, avancierte der nochmals 35 Zentimeter kürzere Nuova 500 nicht nur zur niedlichen und dennoch familientauglichen Miniausgabe seines größeren Bruders, sondern zu einem Symbol italienischer Lebensart. Wie kein anderes Großserienfahrzeug in der Automobilgeschichte wurde der Cinquecento ein weltweiter Botschafter für sein Mutterland. Unvergänglich schöne Formen, Familiensinn, kompakte Abmessungen und kleine Preise, aber auch "dolce vita", das süße Leben mit Sonnengarantie: All dies verkörperte der kleine Fiat mit vier Sitzen, großem Rolldach und bunten Farben.

Kaum länger als ein aktueller Smart und mit 4,5 Liter Normverbrauch ebenso sparsam, glänzte der Cinquecento vor fast 55 Jahren mit vier vollwertigen Sitzen, die durch weit öffnende, hinten angeschlagene Türen bequem zugänglich waren. Wem die "Povera" (die Arme) genannte karge Serienausstattung - anfangs sogar ohne seitliche Kurbelfenster - und die kurze Zubehörliste nicht genügten, konnte den smarten Nuova 500 schon bald zum Lifestylestar aufrüsten. Karossiers wie Ghia, Lombardi, Moretti, Vignale, Zagato und Weinsberg verblüfften das Publikum mit immer neuen Designideen. So gab es die Cinquecentos als schnelle Coupés, extravagante Cabriolets, offene Strandwagen, elegante Limousinen

Die österreichische Marke Steyr-Puch ersetzte den serienmäßigen 13-PS-Motor durch einen Zweizylinder-Boxer mit bis zu 40 PS Leistung. Als Steyr-Puch 650 TR brachte es der Kraftzwerg sogar zu Klassensiegen bei der Rallye Monte Carlo. Ähnlich viel Leistung boten die Rekordwagen des Carlo Abarth, die als Fiat-Abarth 595 SS und 695 SS bis zu 38 PS freisetzten - genug für Spitzentempo 140 km/h. Den Zenit erreichten jedoch die NSU-Ingenieure. Die damals vom italienischen Fiat-Konzern beherrschte NSU Automobil AG montierte unter dem Namen Neckar Automobile auch den Fiat 500. Mit einem getunten NSU TTS-Motor brachte es der Wagen auf 100 PS Leistung und war über 190 km/h schnell - und damit allerdings zu viel des Guten für eine Serienproduktion.

Fast 30 Jahre lang wurde der Nuova Fiat 500 in mehreren Evolutionsstufen produziert, dann versuchten mehrere Nachfolger wie der bereits 1972 eingeführte Fiat 126 und der 1991 lancierte, kantige Cinquecento das Erbe des Kultmobils anzutreten. Auch wenn sie es auf beachtliche Stückzahlen brachten, die vom Nuova 500 ausgehende italienische Lebensfreude konnten sie nicht transferieren. Dies gelang erst wieder dem aktuellen Cinquecento. Er schaffte es, die Marke Fiat aus einem Tal der modellpolitischen Tristesse zu neuen Höhen zu führen. Ähnlich wie die von BMW initiierte Neuauflage des Mini avancierte der aktuelle Cinquecento schnell zum erfolgreichen Retro-Modell. Und das soll jetzt sogar den amerikanischen Automarkt erobern.