Vor 100 Jahren montierte die Autoschmiede Rolls-Royce erstmals ihre legendäre Kühlerfigur - und löste damit einen Trend zu noblen Skulpturen und Emblemen aus

Spirit of Ecstasy" heißt sie - Geist der Ekstase. Was ein wenig verrucht klingt, ist in Wirklichkeit der Name der ersten serienmäßigen Kühlerfigur. Vor 100 Jahren, am 6. Februar 1911, montierte Rolls-Royce sie auf der Motorhaube. Der britische Hersteller löste einen wahren Trend aus, als er das kleine Werk des Bildhauers Charles Sykes präsentierte. Während Rolls-Royce seine Fahrzeuge bis heute mit Kühlerfiguren schmückt, sind die Embleme im Wind ansonsten längst wieder aus der Mode - aus Sicherheitserwägungen.

"Jede Marke, die etwas auf sich hielt, hat ihre Fahrzeuge mit Kühlerfiguren ausgestattet", sagt Ruth Schumacher. Die Stuttgarterin hat eine der größten Sammlungen von Markenzeichen und Kühlerfiguren zusammengetragen. Erstaunlich, welche Fantasie die Hersteller bei der Verzierung der Fahrzeugspitze entwickelten. Indianerhäuptlinge, Götter, wohlproportionierte Damen, Micky Maus und vor allem das Tierreich inspirierten die Unternehmen. "Dem Einfallsreichtum waren keine Grenzen gesetzt", sagt Schumacher: Schwäne, Pferde, Adler und Hasen hat sie schon auf den Hauben gesehen. Daneben erscheint "Spirit of Ecstasy" mit der im Fahrtwind wallenden Robe fast schon gewöhnlich.

Auch bei der Materialauswahl gab sich die Industrie viele Jahre flexibel. Die Figuren wurden aus Metall, aber auch aus Porzellan oder Bleikristall gefertigt. Rolls-Royce experimentierte nicht. "Die rund ein halbes Pfund schwere Skulptur, die binnen 14 Tagen komplett in Handarbeit gegossen wird, gibt es ausschließlich in Edelstahl, aus Silber oder vergoldet", sagt Pressesprecher Frank Tiemann. Es gibt sie auch ohne das dazugehörige Auto. Für knapp 1600 Euro (1350 Pfund) tritt "Spirit of Ecstasy" aus dem Fahrtwind und dient stattdessen als Briefbeschwerer.

Rolls-Royce war der erste Hersteller, der seine Fahrzeuge serienmäßig mit einer Kühlerfigur ausstattete. Doch gänzlich neu war die Idee 1911 nicht: "Davor haben sich viele Adlige von Kunsthandwerkern und Goldschmieden individuelle Skulpturen entwerfen lassen." Und bereits 1899 ließ sich der englische Lord Montagu of Beaulieu als Motorhauben-Schutzpatron einen Christopherus für seinen Daimler anfertigen. Eigentlich müsste er damit als Erfinder der Kühlerfigur gelten.

Bis weit in die Nachkriegszeit waren die Figuren verbreitet. Cadillac oder Bentley montierten sie, aber auch Autos von Opel oder Ford ließen ihr Wappen in den Wind ragen. Heute jedoch sind sie nahezu vollständig aus dem Straßenbild verschwunden. Ein Grund: "Sie erhöhen den Luftwiderstand und damit den Verbrauch", erklärt ein Mercedes-Entwickler ihr Aussterben. Vor allem aber stünden sie dem Schutz von Fußgängern entgegen.

Groß ist der Aufwand für den, der dennoch auf die umwehten Skulpturen nicht verzichten will. Neben den Briten montieren sie etwa Mercedes und Maybach. Der Mercedes-Stern ist wie das Maybach-M so gelagert, dass er sich bei der geringsten Berührung umlegt, um einen möglichen Unfallgegner nicht zu verletzen. Theatralischer funktioniert der Mechanismus der "Spirit of Ecstasy". Auf Knopfdruck verschwindet sie einfach in der Versenkung. So ist die Statue gleichzeitig auch vor Dieben und Vandalen geschützt.

Unter Sammlern ist das begehrteste Stück der Szene keineswegs die Schönheit von Rolls-Royce, sondern ein aufgerichteter Elefant. Ihn hat der Bildhauer Rembrandt Bugatti als ironische Antwort auf die "Spirit of Ecstasy" für den legendären Bugatti Royale entworfen. Nur sechs Originale existieren angeblich noch. Deshalb werden bis zu 50 000 Euro für die "Blaue Mauritius" unter den Kühlerfiguren gezahlt.

Dass Autos heute fast ausschließlich ohne diese Markenzeichen auskommen, bedauern vor allem Sammler. Sie fürchten um Nachschub. Ruth Schumacher findet aber auch, dass den Autos ein Stück ihrer Identität verloren gegangen ist: "Im Windkanal glatt geschliffen, sehen die Fahrzeuge von heute doch ohne Markenzeichen und Kühlerfigur alle gleich aus."