Die Traditionsmarke Jaguar feiert 75. Geburtstag. Mit dem Klassiker S.S. 100 nahm der Hersteller einst Fahrt auf.

Frank Gotthardt ist sich sicher: "Ein schöneres Auto als den S.S. 100 gibt es nicht." Der Software-Unternehmer aus dem Westerwald hat in seiner Garage ein Dutzend Klassiker, vor allem von Jaguar und Mercedes, darunter auch einen MK150, einen XJ 220 und den Flügeltürer aus Stuttgart. "Aber keiner gefällt mir so gut wie der Jaguar", sagt Gotthardt. "Schlank, schmal und lang, so muss ein Oldtimer aussehen. Und natürlich muss er auf Speichenrädern stehen." Der S.S. 100 gilt Kennern als erster Jaguar, mit dem vor 75 Jahren die Geschichte des britischen Sportwagenherstellers in Fahrt kam.

Dass der Oldtimer aus jeder Perspektive gut aussieht, verdankt er dem Perfektionismus von Jaguar-Gründer Sir William Lyons. Der war nicht nur ein genialer Geschäftsmann, sondern auch Ästhet und Perfektionist. Aber der S.S. 100 sieht nicht nur gut aus, er fährt auch gut. Sein Reihensechszylinder hat 3,5 Liter Hubraum, kommt auf 125 PS und macht mit Vollgas ohrenbetäubend viel Krach. "Auf der Landstraße kann der heute noch jedem Sportwagen Paroli bieten", sagt Gotthardt über den Jaguar, der es auf Tempo 165 schafft. Vor 75 Jahren war das noch sehr schnell.

Offiziell gilt der S.S. 100 als erster Jaguar in der Firmengeschichte und liefert den Briten deshalb auch den Anlass zur 75-Jahr-Feier. Doch reichen die Wurzeln der Firma weiter zurück: Bereits 1922 hat Sir William Lyons in Blackpool mit der Swallow Sidecar Company elegante Beiwagen für Motorräder gebaut. Fünf Jahre später entwickelt und konstruiert das Unternehmen bereits Karosserien für den Austin Seven oder den Morris Cowley und zeigt 1931 als erstes Auto den S.S. 1. Vier Jahre später taucht mit dem S.S. 100 erstmals die Zusatzbezeichnung "Jaguar" auf, weil Lyons Kraft und Eleganz der Raubkatze zum Vorbild nahm.

Damals hat der Wagen keine 500 Pfund gekostet und war damit nur halb so teuer wie ein Bentley oder ein Aston Martin. Heute taxiert Gotthardt den Wert je nach Zustand auf 200 000 bis 400 000 Euro. "Wenn man denn einen findet", schränkt der Sammler ein. Er suchte viele Jahre und hat dann bei einem Flugkapitän in Luxemburg ein ganz besonderes Auto erwischt. Zwar ist der Wagen nicht aus dem Jahr 1935, sondern von 1938; doch belegen Fahrzeugschein und Typenregister, dass dieses Exemplar bei manchem Rennen von Sir William Lyons persönlich gesteuert wurde.

Stark und geschmeidig wirkt Jaguar heute aber nicht mehr unbedingt. Nach dem Niedergang der britischen Autoindustrie an Ford verkauft, wurden die Produkte austauschbar. Kein Auto zeigt das deutlicher als das kürzlich eingestellte Einstiegsmodell X-Type, das nicht viel mehr war als ein hübsch verkleideter Ford Mondeo. Trotzdem waren das, gemessen an den Zulassungszahlen, die erfolgreichsten Jahre von Jaguar: Nie wieder hat man so viele Autos verkauft wie 2002, als 130 000 Fahrzeuge die Fabriken verließen.

Geholfen haben diese Rekorde wenig: Die Markenwerte der Briten gingen im Ringen um Kosten und Stückzahlen unter, Jaguar wurde erneut verkauft. Dieses Mal an den indischen Großkonzern Tata, der bis dato vor allem mit dem Billigauto Nano von sich reden machte. Dort regiert nun mit dem ehemaligen Opel-Chef Carl-Peter Forster ein Autofachmann. Der hat jetzt schwere Aufgaben zu lösen, denn weltweit wurden 2009 nur noch 52 000 Jaguar verkauft, davon 2900 in Deutschland.

Doch mittlerweile wird am Produktionsort in Coventry ein Stimmungswandel registriert: "Wir sind im Unterhaltungs- und nicht im Transportgeschäft", hat Firmenchef Mike O'Driscoll erkannt und alte Werte wie Lust und Leidenschaft wiederentdeckt. Schon der Sportwagen XK konnte deshalb wieder begeistern, der S-Type-Nachfolger XF galt als wichtiger Schritt in die richtige Richtung, nun schließt man mit dem neuen XJ die erste Phase der Erneuerung ab. Und es soll weitergehen: O'Driscoll spricht schon von jenem neuen Sportwagen, den die Briten seit Jahren planen. Kommt der Wagen auf die Straße, dürfte S.S.-100-Fahrer Gotthardt noch einmal in Versuchung kommen. Denn wie der erste soll auch der nächste Jaguar werden: schlank, schön und schnell.