Eine Betrachtung von Thomas Lang

Mit der Beharrlichkeit fundamentalistischer Theologen beschwören die Marketingabteilungen aller Autohersteller seit Jahren die reine unverfälschte Lehre vom jungen Neuwagenkäufer. Zumindest bei ihren jeweils fixierten Zielgruppen. In der Praxis waren Neuwagenkäufer noch nie so alt wie heute.

Der Autokäufer, den die Hersteller ins Auge fassen, ist stets klar definiert: Jung (bitte nicht älter als 25), Akademiker (gerne promoviert), mit einem verfügbaren Netto-Einkommen von 5000 bis 7000 Euro pro Monat, urban situiert, Freizeit-orientiert, tierlieb, multikulturell, Beherrscher zahlreicher aktueller Hochsprachen sowie liebevoller Hüter einer Kinderschar. So in etwa jedenfalls träumen sich Marketing-Abteilungen aller Autobauer ihren künftigen Wunschkunden zusammen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das neue Auto als Kleinstwagen aus dem Hause Daihatsu heranrollt oder als Luxuskarosse bei Maybach in Handarbeit gefertigt wird.

Es gibt wenige Beispiele im Alltagsleben, wo Wunsch und Wirklichkeit weiter auseinander klaffen als beim Auto-Marketing. Denn der Durchschnittskunde eines Neuwagens zählte 2011 hierzulande 51,3 Lenze. So viele wie nie zuvor. Tendenz steigend. Dies hat zumindest die Universität Duisburg-Essen festgestellt. Die Autobauer können es somit drehen und wenden, wie sie wollen: Menschen, die tatsächlich neue Autos kaufen, sind praktisch durch die Bank ältere Semester beiderlei Geschlechts. Je verzweifelter Audi, Mercedes und Co. sich abmühen und Unsummen für Werbung aus dem Fenster werfen, um Hochrisiko-Trendsportler, Ex-Tennisstars oder lustige Hip-Hop-Musikantenstadel als Botschafter für die schöne junge Autowelt zu dingen, desto strammer marschiert die Gruppe der Neuwagenkäufer in Richtung Grufti.

Das stellt die Autoindustrie vor Aufgaben, deren Lösung mittel- bis langfristig, zumindest in Mitteleuropa für ihr Überleben so wichtig wird, wie die Umweltverträglichkeit und die Entwicklung alternativer Antriebe. Die Autobauer müssen einen Zugang zur demografischen Mitte der Gesellschaft finden und dem Jugendkult abschwören. Junge Leute, zumal in Großstädten, halten Autos mit wachsender Begeisterung längst für uncool. Und die älteren Kunden, die in Wirklichkeit mit gut gefüllten Börsen in die Verkaufspaläste strömen, könnte der virtuelle Jugendwahn irgendwann einmal ins Lager der Verweigerer leiten. Denn eigentlich führt ihnen die Autoindustrie ja ständig vor Augen, dass sie als Kunden wegen ihres fortgeschrittenen Alters irgendwie gar nicht willkommen sind.