Eine Glosse von Frank Wald

Neulich am Briefkasten. Eines dieser knallroten Anzeigenblättchen, denen es nicht zu blöde wird, Multimedia-Offerten im XXL-Format in die Augen zu schreien. Tapeziert mit den bekannten Großbildleinwänden für Flachseher, Power-Tower-Computer mit Teta-Giga-Mega-Speicher und eine komplette Seite mit - Navigationssystemen. Warum kauft und braucht die heute eigentlich jeder fürs Auto? Am besten noch zum Ein- und Ausstöpseln, damit man auch zu Fuß nicht die Orientierung verliert.

Nun wissen wir seit Hänsel und Gretel, dass man sich nicht einfach aufs Geratewohl auf unbekanntes Terrain begeben soll. Die Erfahrung lehrt aber auch, dass man die meiste Zeit in Gegenden unterwegs ist, in der die Wege vertraut sind: vom Kindergarten zur Schule zum Supermarkt zum Sportplatz zur Schwimmhalle und wieder zurück. So weit, so bekannt.

Zugegeben, es gibt Fälle, in denen der elektronische Pfadfinder Sinn macht. So manchem "Wo-du-wolle"-Taxifahrer wünscht man sich so einen ortskundigen Navigator aufs Armaturenbrett. Am Klosterstern würde so mancher Verzweifelte auf der Suche nach der richtigen Ausfahrt sicher eine Runde weniger drehen. Und auch die Eppendorferin, die ihren Mini wieder mal wegen Parkens in der zweiten Reihe aus dem "Autoknast" in Rothenburgsort rauskaufen muss, käme ohne elektronischen Pfadfinder wohl niemals zurück zum Isemarkt.

Ich glaube allerdings, der Navi-Boom entspringt einem tieferen, spirituellen Bedürfnis nach Führung in zunehmend unübersichtlichen Zeiten. Schon immer rief das orientierungslose Volk dann nach einer Leitfigur, die sagt, wo es langgeht. Und mal ehrlich, wer soll das denn heute noch sein? Wer soll die Richtung vorgeben, wenn sogar Bundespräsidenten vom rechten Weg abkommen, der deutsche Papst in Moralvorstellungen des Mittelalters irrlichtert und selbst ein Gottschalk im Vorabendprogramm herumstottert wie ein Fahranfänger bei der Führerscheinprüfung?

Das Navigationssystem mit seinen klaren Anweisungen schafft Vertrauen und Zuversicht, dass da immer ein Weg ist. Es verteilt elektronische Brotkrumen, damit man sich nicht im dunklen Wald verirrt. Aber aufpassen, dass die olle Hexe in dem Gerät einen nicht doch in die Elbe lenkt.