Das Modell 130 H war in den 30er-Jahren der erste Heckmotorwagen von Daimler-Benz. Allerdings wurde er nicht gerade zum Verkaufsschlager.

Irgendwie klingt das Szenario seltsam vertraut: Die Wirtschaftslage ist flau, die Autos sind zu groß und zu teuer, und die Nobelhersteller entwickeln in Sorge um den Absatz ihrer Luxusliner eilig neue Einstiegsmodelle. Doch wir sind nicht in den 90er-Jahren und reden über Smart oder Mini. Stattdessen schreiben wir die 30er-Jahre, schlittern gerade in die Weltwirtschaftskrise und sitzen in einem Mercedes 130 H. Denn noch bevor Ferdinand Porsche mit einem Exposé vom 17. Januar 1934 über den Bau eines "Deutschen Volkswagens" endgültig die Entwicklung des Käfers und mit ihm die Massenmobilisierung der Deutschen anschiebt, hat Mercedes einen nach vergleichbarem Muster konzipierten Wagen bereits im Programm: den 130 H.

Geboren aus der Angst um die wirtschaftliche Entwicklung und die Zukunft der Oberklasse ist er mit einer Länge von kaum mehr als vier Metern nicht nur der kleinste Mercedes seiner Zeit, sondern mit ihm sinkt auch der Grundpreis der Schwaben auf vergleichsweise günstige 3425 Reichsmark. Damit dieses Konzept aufgeht, der Platz trotzdem für vier Insassen reicht und der Preis überhaupt so weit gedrückt werden kann, stellen die Entwickler die bis dahin geltenden Konstruktionsprinzipien auf den Kopf: Sie begnügen sich deshalb nicht nur erstmals bei Mercedes mit einem Vierzylinder, sondern sie bauen den Motor auch noch hinten ein. Damit ist der 1933 präsentierte und 1934 eingeführte 130 H der legitime Urgroßvater des Smart, bei dem Mercedes gut 60 Jahre später ähnlich radikal umgedacht hat.

Bei einem Rendezvous mit dem Klassiker stellt man jedoch schnell fest, dass die beiden noch viel mehr gemein haben als das Konstruktionsprinzip des Heckmotors und das dadurch bedingte Design, das zur Zeit der Premiere so gar nicht ins jeweils gängige Bild vom Auto passen will.

Das beginnt bereits bei der Sitzprobe: Denn gestern wie heute bieten die für ihre Zeit jeweils ungewöhnlich kurzen Autos innen überraschend viel Platz. Hat man erst einmal seinen Weg hinter das riesige Lenkrad gefunden, thront man im 130 H auf einem bequemen Postersessel, genießt den Ausblick durch große Scheiben, sondiert das schlichte, aber elegante Armaturenbrett mit weit in die Mitte gerückten Instrumenten, einer Uhr zum Aufziehen, zwei kleinen Handschuhfächern sowie einem Zigarettenanzünder - und plauscht mit seinen Mitfahrern über die "gute alte Zeit". Das allerdings geht im 130er besser als im Smart: Denn statt zwei bietet der Klassiker vier Sitze und damit auch mehr Raum für zusätzliche Gesprächspartner.

Spätestens beim Versuch, den Wagen zu starten, findet man die nächste Gemeinsamkeit: Wie beim Smart der Zündschlüssel ist schon beim 130 H der Anlasser zwischen den Sitzen auf dem Mitteltunnel montiert. Und wie in dem neumodischen Cityflitzer hat man auch bei dem Oldtimer mit dem Getriebe seine liebe Mühe: Wo wir heute über die leidige Halbautomatik und die noch immer spürbaren Hüpfer beim Gangwechsel stöhnen, mussten sich unsere Urgroßeltern mit einem hakeligen Dreigang-Getriebe samt zusätzlichem Schnellgang mühen. Dort mit dem endlos langen Schaltknüppel den richtigen Gang zu treffen, gleicht dem Versuch, seinen Namen mit einem Bleistift von der Länge eines Spazierstocks auf einen Zettel vom Format einer Straßenbahnfahrkarte zu schreiben.

Selbst die Fahrleistungen liegen gar nicht so weit auseinander. Wie heute mit dem Smart konnte man damals mit dem 130er nur mit Geduld im Verkehr mitschwimmen. Während die Sportwagen von Mercedes bereits nah an Tempo 200 kamen, musste sich das Bürgertum bei Benz mit kaum mehr als 90 km/h begnügen und obendrein sehr vorsichtig fahren. Denn mit der leichten Vorderachse, dem Motor im Heck und den angetriebenen Hinterrädern reicht auch heute noch ein beherzter Tritt aufs winzige Gaspedal, um den Kleinwagen in große Schwierigkeiten zu bringen.

Rund um das Mercedes Classic-Center in Irvine (Kalifornien), wo der 130er in den vergangenen Monaten liebevoll restauriert wurde, steht der Oldie zu einer sonnigen Ausfahrt bereit. Die meistert der Zweitürer mit dem ungewöhnlichen Heck, der zwischen all den großen Limousinen und Geländewagen fast schon verloren aussieht, tadellos. Der 26 PS starke Motor erwacht schon beim ersten Druck auf den Startknopf zum Leben, und tuckert so munter in seiner von vielen Lüftergittern und Kühlrippen durchbrochenen Blechbüchse im Heck, als hätte jemand die Zeit um 70 Jahre zurückgedreht. Die Winker flattern - mittlerweile wieder befreit von zwei Dutzend Lackschichten - leicht und frei im Fahrtwind, und von allen Seiten blicken einem freundliche Gesichter entgegen.

Dabei sonnt man sich aber keineswegs nur in der Aufmerksamkeit der anderen Verkehrsteilnehmer, sondern auch an den gleißend hellen Strahlen vom stahlblauen Himmel. Denn auch das ist eine Gemeinsamkeit von Smart und 130 H: Damals wie heute gab es das Einstiegsmodell von Mercedes auch als Cabrio-Limousine mit einem großen Faltdach zwischen den fest stehenden Seitenwänden.

Die Geschichte des 130 H ist allerdings nicht nur die Chronik eines revolutionären Technologiekonzeptes. Sie ist auch der Beleg für die wirtschaftlichen Hürden einer vielleicht genialen Idee. Denn war schon der 130 H mit rund 4200 Exemplaren nicht gerade ein Verkaufsschlager, hat Mercedes vom Nachfolger 170 H zwischen 1937 und 1939 nur noch 1500 Autos verkauft und das Heckmotor-Konzept nach dem Krieg erst einmal wieder begraben.