Vor 125 Jahren erhielt Gottlieb Daimler das Patent für den ersten schnell laufenden Verbrennungsmotor der Welt. Christof Vieweg erinnert an die Anfänge und erklärt, warum das Prinzip noch Jahrzehnte überdauern wird - trotz Elektroauto & Co.

Polizeieinsatz im noblen Cannstatt bei Stuttgart. Es schlägt Mitternacht, als die Wachtmeister Eberhardt und Sieger - mit Knüppel und Blendlaterne bewaffnet - in ein Gewächshaus an der Taubenheimstraße eindringen. Hier vermuten sie die Werkstatt einer Bande von Falschmünzern. Anwohner hatten Geräusche gemeldet, die oft sogar nachts nicht verstummten. Doch die Polizisten finden nur Maschinenteile, Kolben, Ventile und Räder. Falscher Alarm. Leise ziehen sich die Ordnungshüter zurück und entschuldigen sich tags darauf beim Besitzer des Gewächshauses, einem gewissen Gottlieb Daimler.

So wird die Arbeit eines Mannes aktenkundig, der im Sommer 1882 damit beginnt, den Traum vom Autofahren zu verwirklichen. In dem Pavillon tüftelt Gottlieb Daimler zusammen mit seinem Partner Wilhelm Maybach an einem Viertaktmotor. Den hatte zwar Nikolaus Otto schon 1876 erfunden, doch war er riesig, tonnenschwer und nicht für Fahrzeuge bestimmt - Otto hatte ihn als Ersatz für die Dampfmaschine vorgesehen. Daimler und Maybach aber wollten einen solchen Motor für eine Kutsche.

Im April 1885 ist der Motor einsatzbereit: ein kurioses Gebilde aus Gusseisen und Messing mit 0,5 PS bei 700 Umdrehungen. Den Beinamen "Standuhr" bekam die Maschine aber nicht wegen ihres temperamentlosen Wesens (im Gegenteil, es handelt sich hier rein technisch um den ersten schnell laufenden Benzinmotor), sondern weil der eine aufrecht stehende Zylinder so deutlich zu erkennen war.

Daimler und Maybach besorgen sich ein hölzernes Laufrad und installieren ihren 60 Kilogramm schweren Einzylinder unter dem Sitz, womit das harmlose Gefährt buchstäblich zum Feuerstuhl wird. Ein Lederriemen verbindet Motor und Hinterrad, das Laufrad geht als Reitwagen in die Geschichte ein. Danach probieren die Entwickler ihre Technik in einem Boot aus, und 1886 wird das Automobil geboren.

Daimlers und Maybachs Motor gehört zu den Erfindungen, die die Welt für immer verändert haben. Der Ottomotor (seit 1936 nennt man ihn in Deutschland so) und auch das von Rudolf Diesel später entwickelte Pendant sind die treibende Kraft auf den Straßen, sie machen Menschen mobil und halten die Wirtschaft in Gang. Was die Herren Daimler und Maybach, Otto und Diesel sich nicht vorstellen konnten, war das Ausmaß der Kraft, das ihre Entdeckungen annehmen würde. Heute reden wir nicht mehr nur über die Segnungen der individuellen Motorisierung, die massenhafte Verbrennung von Benzin und Diesel steht auch am Pranger.

"Das Monopol geht zu Ende", sagt denn auch Daimler-Chef Dieter Zetsche, wenn er auf die Stellung der Benzin- und Dieselmotoren als Autoantrieb angesprochen wird. Wie alle Verantwortlichen in der Industrie glaubt Zetsche aber nicht an einen schnellen Übergang zu alternativen Antrieben. "Benzin- und Dieselmotoren werden in den kommenden Jahrzehnten die dominierenden Antriebe sein und einen signifikanten Marktanteil haben", sagt auch BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Draeger. Gleichzeitig werde der Elektroantrieb große Fortschritte machen und bis 2050 "eine Standardmotorisierung für entsprechende Fahrzeugsegmente" werden. Gemeint sind zukünftige Stadtautos wie das BMW-Projekt Mega City Vehicle, das in rund fünf Jahren auf den Markt kommen soll.

Doch solche E-Autos werden Nischenprodukte sein, wie Bosch-Vorstand Rolf Leonhard sagt: "Wir rechnen ab dem Jahr 2020 mit sechs Millionen Hybridfahrzeugen sowie drei Millionen Plug-in-Hybriden und Elektroautos - bei insgesamt rund 100 Millionen neu produzierten Automobilen pro Jahr."

Benzin- und Dieselmotoren müssen daher ihr Sparpotenzial abrufen. "In Summe sind noch bis zu 30 Prozent Verbrauchsreduzierung möglich", sagt Klaus Draeger. Der BMW-Entwickler kann sich für das Jahr 2050 ein Mittelklasseauto vorstellen, das weniger als drei Liter Diesel pro 100 Kilometer verbraucht.

Doch das erfordert noch eine Menge Entwicklungsarbeit - und eine Umstellung bei den Kunden. Sie werden akzeptieren müssen, dass Motoren nicht mehr größer werden, sondern kleiner. "Die Motoren von morgen haben nur drei Zylinder und 1,2 Liter Hubraum, bieten aber trotzdem das gleiche Fahrverhalten wie ein heutiger Zweiliter-Motor", sagt Bosch-Entwickler Leonhard. Kleinere Motoren entwickeln in ihrem Inneren geringere Reibungskräfte und arbeiten deshalb sparsamer. Diese Möglichkeiten will Ford-Forschungschef Andreas Schamel "bis an die physikalischen Grenzen ausreizen" und die verkleinerten Motoren mit mehrstufigen Turboladern ausstatten, die je nach Fahrsituation den nötigen Leistungsschub bringen.

Audi will einzelne Zylinder sogar komplett abschalten, wenn sie nicht benötigt werden. Beim neuen Bentley Mulsanne, ebenfalls aus dem Volkswagenkonzern, ist das schon möglich, aber der bietet ja auch einen beinahe sieben Liter großen Achtzylinder. Diese Technik werde sich aber auch bei kleineren Benzinmotoren durchsetzen, heißt es aus Ingolstadt. Statt vier arbeiten dann etwa im Stadtverkehr nur noch zwei Zylinder, und das Auto verbraucht weniger. Viel versprechend erscheint auch die Hochzeit von Diesel und Benziner, die Ingenieure bei Mercedes und Volkswagen planen. Das Kind dieser Ehe soll ein Musterknabe in puncto Verbrauch und Abgas-Emissionen werden, der den Kraftstoff so effizient ausnutzt wie ein moderner Diesel und ihn gleichzeitig so sauber verbrennt wie ein Benziner. Das sei laut Daimler-Vorstand Thomas Weber "die Zukunft des Benzinmotors".

Mit welchem Sprit der neuartige Motor einmal gefüttert wird, ist aber noch nicht klar. Während Mercedes Superbenzin tanken will, entwickelt VW einen Designer-Kraftstoff namens Sun-Fuel. Er basiert auf Biomasse und sei deshalb "eine Schlüsseltechnologie auf dem Weg zum Ende des Erdölzeitalters".

Weg vom Öl wollen und müssen heute selbst die Vordenker der Autoindustrie. Damit es irgendwann mal wieder so wird wie zu Daimlers und Maybachs Zeiten. Benzin wurde damals nur in kleinen Fläschchen verkauft - vom Apotheker.