Von der Limousine wurden zwischen 1969 und 1976 lediglich 15 000 Exemplare gebaut.

Hamburg. Millionen TV-Zuschauer schalten sonntags um 20.15 Uhr das erste Programm ein, um "Tatort" zu schauen. Anfangs passiert etwas Rätselhaftes, nach 90 Minuten haben die Kommissare alles aufgeklärt. Doch an manchen Sonntagen bleibt ein Geheimnis - und zwar eines mit vier Rädern. Wenn die Ludwigshafener Fahnder Lena Odenthal und Mario Kopper unterwegs sind, steuern sie meist ein seltsames altes Auto, von dem auch nach diversen Folgen kaum jemand weiß, um was für ein Mobil es sich handelt. Und selbst wenn die Bezeichnung genannt wird, bleibt das Rätsel oft ungelöst: Fiat 130? Nie gehört.

Die Autobauer aus Turin haben es Anhängern der Marke in der Vergangenheit schwer gemacht, jeden Klassiker anhand der Bezeichnung direkt identifizieren zu können. Zu wirr und wenig einprägsam waren all die dreistelligen Typenkürzel von 128 über 131 oder 850 und später 126. Der 130 ist auch innerhalb des Zahlensalats eine unbekannte Größe: So selten wie dieses Auto war kaum ein Fiat. Heute wie einst stand die Marke vor allem für kleine Autos. Immer wieder gab es aber auch Kunden bei Fiat, die mit der Marke den etablierten Konkurrenten in höheren Klassen zeigen wollten, dass man auch in Turin solche Fahrzeuge konstruieren konnte. Ein Beispiel dafür ist eben jenes Modell 130, das im "Tatort" unterwegs ist. Debütiert hat 130er im Jahr 1969. Allein von den technischen Daten hatte er durchaus das Zeug, es mit einem Mercedes /8 oder zumindest einem Rekord oder Commodore von Opel aufnehmen zu können. Die viertürige Karosserie war mit ihren 4,75 Metern Länge durchaus stattlich. Das Design spiegelt den Ende der 60er verbreiteten Mix aus überholtem Barock und neuen, klareren Linien wider. Typisch für den 130 ist außerdem der Dachaufbau mit viel Glas und wenig Blech: Es gibt nur dünne Streben zwischen den Fenstern, die eine fast uneingeschränkte Rundumsicht erlauben.

Unter der Motorhaube arbeitet ein Aggregat, das den Status des 130 deutlich macht - und das im Hause Fiat recht ungewöhnlich war: ein Sechszylinder. Der hatte zunächst 2,9 Liter Hubraum und leistete vergleichsweise spärliche 140 PS, später wurde nachgelegt mit 3,2 Liter Hubraum und bis zu 165 PS. Neben dem V6-Motor gab es für den großen Fiat alles, was in der Klasse der nobleren Limousinen üblich oder begehrt war: Leder für die Sitze konnte ebenso geordert werden wie die Klimaanlage oder die elektrischen Fensterheber. Auch ein Automatikgetriebe war im Angebot. Immer mit dabei war ein aufwendiges Fahrwerk mit Einzelradaufhängung und Scheibenbremsen rundum.

Hört sich in der Theorie ganz gut an. In der Praxis war der 130 sicher kein schlechtes Auto. Sein Problem: Der durchschnittliche Fiat-Fahrer bevorzugte eben kleine und günstige Fahrzeuge. Die Folge: Der große Fiat war alles andere als ein Verkaufserfolg und wurde in Deutschland nur in homöopathischen Dosen unters Volk gebracht. Bei Fiat selbst allerdings baute man weiter auf die Technik des Großen - und überraschte die Welt 1971 mit einer Modellvariante, die nichts mehr von der souveränen Unaufgeregtheit der Limousine hatte: Die Bezeichnung der neuen Version lautete schlicht 130 Coupé. Doch damit ist der Status dieses Autos nur unzulänglich beschrieben. Tatsächlich stellte die zweitürige Ausführung des 130 nicht weniger als eine Design-Revolution dar.

Merkmal dieses Zweitürers ist in erster Linie die von Pininfarina gezeichnete Karosserie: An der fand sich keine Spur mehr vom Schwulst der 60er. Das Coupé trug durchweg geradlinige und schnörkellose Bleche. Auch auf chromglänzende Zierleisten wurde weitgehend verzichtet. Alles in allem war ein Auto entstanden, das durchaus als wegweisend bezeichnet werden konnte. Denn das 130 Coupé gilt als der Urahn jenes Designs, das später in seinen Grundzügen sogar Ikonen wie die Coupés der Mercedes S-Klasse der 80er-Jahre oder auch die zweite Generation des Ford Granada auszeichnete. Mit der technisch nahezu identischen Limousine verband das Coupé formal eigentlich gar nichts mehr. Trug der Viertürer an der Front runde Doppelscheinwerfer, setzte Pininfarina auf breite rechteckige Leuchten. Die klassischen Proportionen der Limousine wurden hier durch einen gestreckten Eindruck ersetzt, der auch durch die langen Überhänge an Front und Heck zustande kam.

Heute ist das Coupé begehrt und selten - was wiederum daran lag, dass es zu seiner Zeit wohl zu avantgardistisch und daher kaum gefragt war. Obwohl es mit allerlei Luxus ausgestattet war und mit dem 165 PS starken Motor knapp 200 km/h lief, konnte Fiat vom Zweitürer nur rund 5000 Exemplare absetzen - über die gesamte Bauzeit von 1971 bis 1977. Der Limousine erging es kaum besser, sie brachte es bis zum Verkaufsende 1976 auf lediglich 15 000 Exemplare. Dass eines davon die Jahrzehnte so gut überstanden hat und heute noch im "Tatort" Dienst tut, macht deutlich, dass Fiat in den 60er-Jahren nicht nur als Kürzel für "Fehler in allen Teilen" stand.