Wenn der Wagen nicht hält, was er verspricht, bringt das im Extremfall ganze Konzerne ins Wanken.

Hamburg. Die kleine Antenne auf dem Dach des Golf VI glänzt wie ein Füller von Montblanc. VW-Chef Martin Winterkorn platzte bei der Präsentation des Wagens vor eineinhalb Jahren fast vor Stolz: Das Werkzeug, in dem die Antenne gegossen worden war, sei hoch poliert, darum sehe das Anbauteil edler aus, als wäre es nur lackiert worden. So viel Liebe zum Detail ist bewundernswert. Aber ist sie auch Ausdruck von - Qualität?

Oder die Gaspedale bei Toyota, die Millionen Autos in die Werkstätten zwingen. Schuld daran sei mangelnde Qualität, heißt es. Aber was bedeutet das? Qualität ist schwer zu greifen. Ähnlich wie beim Geschmack versteht jeder etwas anderes unter dem Begriff, jeder hat andere Ansprüche an sich und die Produkte, die ihn umgeben. "Die ganz banale Frage der Lebensführung wirft in der heutigen Zeit eine Fülle von Problemen auf", sagt Kai-Uwe Hellmann, der Soziologie an der Technischen Universität Berlin lehrt. "Man möchte mit seinem Leben einer bestimmten Idee gerecht werden, will es nach einem bestimmten Maßstab ausrichten."

Bei der Auswahl der Produkte, die uns dabei unterstützen sollen, sei laut Hellmann die Qualität die entscheidende Bewertungsgröße. Wir empfinden etwas schon dann als qualitativ hochwertig, wenn es unser Problem lösen hilft - und uns beispielsweise den Wunsch nach Sicherheit erfüllt, den Ausdruck von Reichtum ermöglicht oder die Zurschaustellung ganz besonderer Sportlichkeit.

Unterschiedliche Anforderungen rufen aber unterschiedliche Bewertungen von Qualität hervor, auch beim Auto. Streng genommen gibt es hier nur eine einzige Qualität, über die sich alle einig sind: Das Fahrzeug muss zuverlässig funktionieren. Wer sich ein Modell von Toyota kauft, einer Marke, die ihr Image besonders auf dem Faktor Zuverlässigkeit aufgebaut hat, der möchte nichts hören von defekten Gaspedalen oder nicht perfekt funktionierenden ABS-Systemen. Wer einen VW erwirbt, möchte nichts lesen von Motorschäden durch Eisbildung im Ölkreislauf, wie vor knapp zehn Jahren geschehen. Wenn die Grundfunktion des Autos nicht problemlos gewährleistet werden kann, dann ist die Frage nach der Qualität schnell beantwortet: Das Fahrzeug hat keine.

Differenzierter urteilen die Menschen, wenn zweitrangige Funktionen von Fehlern betroffen sind. So konnte sich beim Golf V Wasser in der Kante einer Tür einlagern, gefrieren und die Bleche aufbiegen. Was bei der Billigmarke Dacia nur zu ärgerlichem Kopfschütteln geführt hätte, löste bei VW-Fahrern Entrüstung aus, auf die der Hersteller mit kostenlosen Reparaturen reagieren musste. Das rumänische Importmodell braucht nur zu fahren. Der Golf, das doppelt so teure Auto, sollte auch in Karosserie- und Rostfragen über Zweifel erhaben sein.

Wenn also bei Autos über Qualität diskutiert wird, muss man auch wissen, welche Qualität gerade gemeint ist. Soziologe Hellmann spricht von einem "mehrdimensionalen Raum von Qualität: Es kommt grundsätzlich auf die Bezugspunkte und Nutzungskontexte bei der Beurteilung an: Will ich nur in der Stadt fahren? Bewege ich mich hauptsächlich auf der Autobahn? Muss ich mit meinem Fahrzeug bei anderen Firmen vorfahren? Hilft es mir, lange Strecken entspannt zu genießen? Lässt sich darin vernünftig Musik hören?"

Aus diesem Bündel von Fragen sucht sich der Kunde die "Systemlösung", die die beste Antwort auf seine Probleme verspricht. Daraus ergibt sich bei jedem einzelnen sein individuelles Qualitätsurteil. Der Rückenleidende hält die hydropneumatische Federung eines Citroën für ein Geschenk des Himmels. Der Großstädter schätzt die Kürze seines Smart. Und die Mutter, deren Kind beim Fahren zu Übelkeit neigt, zieht leicht abwaschbare, glatte Hartplastikflächen vor. Die angenehm weiche "Slushhaut", die man am Armaturenbrett des Golf findet und die vielen als Ausweis der Detailverliebtheit des Vorstandsvorsitzenden gilt, empfindet sie weniger als Qualität denn als Beutelschneiderei.

Trotzdem wird sie bejahen, dass sie Qualität bei Autos wichtig nehme, und dass Qualität bei deutschen Marken vorhanden sei. Das zeigt jedenfalls das Exzellenz-Barometer, eine Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Qualität: 82 Prozent der Befragten gaben an, dass Deutschland gegenüber anderen Ländern beim Automobilbau einen klaren Qualitätsvorsprung habe.

Dieses Urteil gilt jedoch nur so lange, bis etwas am Fahrzeug nicht funktioniert. Wenn es mehr als einen Anruf kostet, um Hilfe zu bekommen, oder wenn die Werkstatt gar abwimmelt, dann werden ganz andere Maßstäbe angelegt. Bei Service und Kundenorientierung bietet das Exzellenz-Barometer einen traurigen Ausblick: Den Wettbewerbsvorteil Deutschlands in diesem Punkt schätzen die Befragten gleich Null ein. "Dabei findet sich in der Kommunikation dieselbe Logik wieder wie bei der Qualität: Ein Käufer tritt mit einem Hersteller in Verbindung, um ein Problem zu lösen", sagt Soziologe Hellmann.

Eigentlich ganz einfach, aber doch so schwer: Als 2002 die ersten Toyota-Kunden in den USA Schwierigkeiten mit den Gaspedalen meldeten, wollte bei den Japanern niemand etwas davon wissen. Dabei hätte viel verhindert werden können, wenn nur die Qualität der Kommunikation gestimmt hätte.