Mit Rückenwind und viel Anlauf schafft der Kapitän, Baujahr 1956, sein Spitzentempo von 140 km/h.

Rüsselsheim. Ein Opel erfolgreicher als ein Mercedes oder ein BMW? Davon kann man in Rüsselsheim heute nur noch träumen. Zwar haben die krisengeschüttelten Hessen mit dem Insignia einen ordentlichen Coup gelandet und wieder ein wenig zur gehobenen Mittelklasse aufgeschlossen. Doch der Premium-Zug ist für sie schon so lange abgefahren, dass selbst Schlusslichter wie der Senator und der Omega so langsam von der Straße verschwinden. Dass es auch einmal anders war, belegt ein in den Zeiten der Krise ausgesprochen tröstlicher Blick in den historischen Fuhrpark von Opel, in dem ein auch nach über 50 Jahren noch taufrischer 1956er Kapitän von längst vergangenen Zeiten träumt.

Der rote Riese mit dem vornehm geschwärzten Dach stammt aus einer Ära, als die Welt für Opel noch in Ordnung war. Zwar hatte auch damals schon General Motors die Finger mit im Spiel, doch an Krise war seinerzeit nicht zu denken. Im Gegenteil: Das Wirtschaftswunder nahm gerade Fahrt auf, Konrad Adenauer bat die ersten Gastarbeiter ins Land und ein Opel gehörte seinerzeit zu den beliebtesten Fahrzeugen. Nicht umsonst haben die Hessen von ihrem Kapitän mehr Autos verkauft als Mercedes vom vergleichbaren 220er Ponton. Allein das 56er Modell, das von Herbst 1955 bis 1958 gebaut wurde, fand beinahe 100 000 Kunden.

Zwar mussten Arbeiter für die 9350 Mark lange ackern und für die noble Luxus-Version sogar noch einmal 900 Mark aufzahlen, doch wurden sie dafür auch mit dem Traum des Bürgertums belohnt: Außen wurde der Kapitän mit reichlich Chrom geschmückt und dem breiten Kühler sowie den zarten Heckflossen bereits in die Nähe amerikanischer Straßenkreuzer gerückt. Und innen lockte der Wagen mit jeder Menge Platz, Sesseln bequemer als daheim im Wohnzimmer, einem Armaturenbrett, das heller funkelte als die Auslage eines Juweliers, und ein paar feinen Extras wie den Sonnenblenden oder das beleuchtete Handschuhfach - viel mehr brauchte es in den Fünfzigern nicht für einen Traumwagen.

Auch das Fahrgefühl war hochherrschaftlich und erhaben. Wo sich andere in einen Fiat 500, einen Kabinenroller oder eine Isetta quetschen mussten, fuhr man den großen Opel mit der Würde eines Kreuzfahrt-Kapitäns. Allerdings brauchte es auch dessen Weitsicht. Denn während man mit fester Hand und starkem Arm am spindeldürren Lenkrad mühsam den Kurs vorgibt, wankt der butterweich gefederte Straßenkreuzer durch enge Kurven wie ein betrunkener Matrose über die Reeperbahn. Und zumindest nach heutigen Maßstäben sind die Bremsen ein Scherz.

Dafür jedoch ist der unverwüstliche Sechszylinder, der im riesigen Motorraum so verloren wirkt wie eine Nussschale auf dem Ozean, munter wie am ersten Tag. Kurz den Choke gezogen, braucht die Zündung nur wenige Sekunden, um den 2,5-Liter in Gang zu bringen. Wenn man dann noch seinen Weg durch das am Lenkrad angeschlagene Dreiganggetriebe findet, steht einer Ausfahrt im Geist von Gestern nichts mehr im Wege. Denn obwohl man viel Anlauf und Rückenwind braucht, bis der Wagen tatsächlich auf sein Spitzentempo von 140 km/h kommt, hat er mit 75 PS noch immer genug Leistung für eine launige Landpartie.

Sorgen um Pannen und Probleme muss man sich dabei kaum machen. Zwar kosten gut erhaltene Originale aus jener Zeit mittlerweile zwischen 20 000 und 30 000 Euro, doch ist ein gepflegter Kapitän dafür auch absolut seetüchtig. Schließlich kommt er aus einer Zeit, in der die Hessen noch zu Recht mit dem Slogan "Opel, der Zuverlässige" geworben haben. Wie sicher sie sich ihrer Sache waren, zeigt auch eine Plakette auf dem Armaturenbrett, mit der treue Kunden für die hohe Laufleistung belohnt wurden. Die 100 000-Kilometer-Medaille in diesem Kapitän sei nicht umsonst in Bronze gehalten, erläutert ein Mechaniker aus dem Begleitteam: "Denn Gold gab es erst für 200 000 Kilometer."