Die Schwaben setzen bei dem Sportwagen auf eine leichte Aluminium-Karosserie sowie viel Motorkraft - und beweisen feinen Sinn fürs Historische.

Laguna Seca. Gut, dass es mit der Konjunktur angeblich wieder bergauf geht. So wird manchem Interessenten die Unterschrift unter dem Kaufvertrag für den neuen Mercedes SLS AMG ein wenig leichter fallen. Der 571 PS starke Flügeltürer überführt das Erbe des legendären 300 SL aus den Fünfziger Jahren in die automobile Neuzeit - ohne Retro-Kitsch, sondern als moderne Sportwagen-Interpretation mit einem feinen Sinn fürs Historische. Markteinführung ist im kommenden Frühjahr zu Preisen ab 177 310 Euro.

Wer diesen Betrag entbehren kann, dem sei der Zweisitzer ohne Einschränkung ans Herz gelegt. Der SLS ist das erste von Haustuner AMG komplett in Eigenregie entwickelte Serienfahrzeug. Und dabei legte die Motoren- und Tuningschmiede ein zügiges Tempo vor: Vom ersten wohlwollenden Nicken von Daimler-Chef Dieter Zetsche bis zum Produktionsstart vergingen nur gut drei Jahre. Jetzt hat man offenbar Blut geleckt, denn dass als nächstes ein SLS Roadster kommt, gilt schon als gesichert. Die Daimler-Tochter AMG dürfte dadurch immer mehr zum Zentrum der sportlichen Kompetenz heranwachsen und zunehmend für jene Emotion zuständig sein, die man bei den Stuttgartern bisweilen vermisst.

Während etwa ein SL trotz aller Antriebsdynamik immer noch den markentypischen Komfort bieten muss, darf der SLS bei Sound, Performance und Auslegung kerniger, krawalliger und rabiater auftreten. Der Flügeltüren-Showeffekt ist daher nur das i-Tüpfelchen, das für Aufsehen bei jedem Tankstopp und bei jedem Halt auf dem Boulevard sorgt. Es sind auch die stimmigen Proportionen, die ellenlange Motorhaube, die Kombination aus extremer Tieflage, breiter Spur und langem Radstand, die diesen SLS ausmachen; oder der manchmal brüllende, manchmal blubbernde Achtzylinder: Für die Kreation des Motorsounds wurden 16 Abgasanlagen entwickelt, bevor die Verantwortlichen endlich zufrieden waren. Ganz ohne Kompromisse ging es dabei aber nicht. Weil die neue Aluminium-Karosserie besonders hellhörig ist, war das Innenraumgeräusch anfangs noch zu hoch, als dass man es einem Mercedes-Kunden hätte zumuten können. Erst der aufwendige Einsatz von Dämmmaterial brachte das passende Geräuschniveau.

Das wiederum wirkte sich auf das Fahrzeuggewicht aus, das mit 1620 Kilogramm moderat, aber keineswegs rekordverdächtig ausfällt. Auch die Annehmlichkeiten modernen Autofahrens wie Klimaautomatik, Sitzheizung und Einparkhilfe dürfen natürlich nicht fehlen. Dennoch müssen Fahrer und Beifahrer angesichts des schmalen 176-Liter-Kofferraums und wenigen Ablageflächen ein paar Einschränkungen hinnehmen. Sitzriesen mangelt es zudem an Freiheit über dem Haupthaar. Der Einstieg durch die offenen Flügeltüren gelingt hingegen ohne Verrenkungen; beim Ausstieg stoßen sich Anfänger gelegentlich den Kopf.

Während der Zweisitzer bei der Konzernmutter im Werk Sindelfingen gebaut wird, kommen die Motoren aus der schwäbischen AMG-Heimat Affalterbach. Die Basis des 6,2-Liter-Benziners liefert jener V8, der etwa im neuen E 63 AMG zum Einsatz kommt. Modifikationen am Ventiltrieb und an den Nockenwellen sowie die Entdrosselung der Abgasanlage lassen den Sauger, der unmittelbar vor der Fahrgastzelle als Frontmittelmotor platziert ist, noch bissiger und drehfreudiger auf Gasbefehle ansprechen. Bei diesem unwiderstehlichen Antritt kommen Gedanken an einen Turbo gar nicht erst auf. Zusammen mit dem neu entwickelten Doppelkupplungsgetriebe bildet der V8 ein kongeniales Antriebsduo für das souveräne Gleiten ebenso wie für den rasanten Ritt auf der Rennstrecke. Das Siebenganggetriebe sitzt an der Hinterachse und wechselt die Gänge schnell und intelligent - und je nach gewählter Charakteristik sanft oder mit entschiedenem Nachdruck. Die Transaxle-Bauweise - Motor vorn, Getriebe hinten, beides verbunden durch eine nur 4,7 Kilogramm schwere Antriebswelle aus Carbon - sorgt für eine ideale Gewichtsverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse und in Verbindung mit dem niedrigen Fahrzeugschwerpunkt für eine herausragende Fahrdynamik.

Dabei ist es durchaus möglich, den Hecktriebler durch übermütiges Herausbeschleunigen am Kurvenausgang zu reizen; doch der SLS ist verbindlich genug, sich leicht wieder einfangen zu lassen. Gerade diese Mischung aus Gutmütigkeit und entfesselter Kraft macht den Reiz des Flügeltürers aus. Werte wie die 317 km/h Höchstgeschwindigkeit oder die 3,8 Sekunden für den Sprint auf Tempo 100 sind hingegen eher etwas fürs Autoquartett - genauso wie der auf dem Prüfstand gemessene Verbrauch von 13,2 Litern je 100 Kilometer, der nur in den seltensten Fällen mit der Alltagsrealität in Übereinstimmung zu bringen sein dürfte.

Die potenziellen Kunden wird das nicht weiter stören. Die Liste der Interessenten sei lang, heißt es bei Mercedes, in den Garagen der Gutbetuchten wird schon Platz gemacht für den neuen Superstar aus dem Schwabenland. Auf ein konkretes Absatzziel möchte man sich aber nicht festlegen. Dass der SLS ein größerer Erfolg sein wird als sein mehr als doppelt so teurer und letztlich etwas unausgegorener Vorgänger SLR McLaren, daran besteht jedenfalls kein Zweifel; und daran, dass er wie sein Urahn 300 SL das Zeug zur Markenikone hat, wohl ebenfalls nicht.