Schwarze und graue Lacktöne beherrschen das Bild auf deutschen und auch Hamburger Straßen. Aber Weiß und Braun werden immer beliebter.

Kaum zu glauben: Rund 20 000 unterschiedliche Autolacke sind auf unseren Straßen unterwegs. Doch dem deutschen Autokäufer mangelt es eindeutig am Mut zur Farbe. Spitzenreiter bei den Neuwagenkunden war im vergangenen Jahr nämlich Schwarz mit 31 Prozent. Wobei Schwarz nicht gleich Schwarz ist: Diese Farbe gibt es in mindestens drei Varianten - mit Effekten in Braun, Blau oder Grün. Nur knapp dahinter liegt Grau (dazu gehört auch Silber) mit 30,9 Prozent. Rund 75 Prozent aller 2011 zugelassenen Fahrzeuge sind silber, schwarz und weiß.

Hamburger Autokäufer bestätigen mit Schwarz und Silber den Trend zu klassisch gedeckten Farben. "Jüngere Kunden kaufen vor allem schwarze Wagen, für silberne entscheiden sich verstärkt die über 50-Jährigen", sagt Dieter Habermann, Geschäftsführer beim Autohaus Voigtländer & Meyer. "Jüngst haben sich jedoch verschiedene Brauntöne von hell bis dunkel dazwischengesetzt." Diese Tendenz bestätigt Thomas Reher, Verkaufsleiter bei Hugo Pfohe: "Vor allem Braun und Weiß, noch vor 20 Jahren nicht gerade angesagte Farben, erleben derzeit ein Revival."

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Heinz Preiß, Geschäftsführer von Auto Nova in Glinde, hält dagegen: "Weiß wird trotz Anstrengungen der Hersteller nicht so gut angenommen wie gewünscht. Dennoch sieht gerade ein weißes Cabrio sehr schick aus." Moderne Fahrzeuge seien in ihrem Styling schöner geworden, meint Reher, deshalb wirke Weiß heute viel edler. "Früher waren nur Firmenwagen weiß", sagt er und weist auf ein Wechselspiel zwischen Farbe und Reifen hin. "Mit Alufelgen wirkt dasselbe Modell in demselben Farbton völlig anders."

George Gallion, der über Jahrzehnte für das Design der Opel-Modelle verantwortlich war, bedauert die Dominanz der gedeckten Farben - sah es auf deutschen Straßen doch in den 70er- bis 90er-Jahren viel farbenfroher aus. 1978 waren 17 Prozent der Pkw gelb lackiert, die Farbe Grün trugen 19 Prozent. Rote Autos machten 1985 bereits 20 Prozent und im Boomjahr 1992 sogar 28 Prozent aus - während aktuell diese Farbe bei mageren 5,8 Prozent dümpelt.

Für die Designer hat Farbe einen hohen Stellenwert, denn sie verleiht Automodellen ihren individuellen Charakter. Farbe sei ein Marketinginstrument, das sehr bewusst für die Positionierung der Marke eingesetzt werde, sagt Michael Bross vom Deutschen Lackinstitut. Karosserie-Designer, Marketingfachleute und Lackexperten arbeiten eng zusammen, um immer wieder neue Farben auf den Markt zu bringen. Bevor es jedoch so weit ist, wird aufwendig recherchiert.

So sind Farbexperten wie Mark Gutjahr, Chef-Designer beim Autolackhersteller BASF Coatings, und sein vierköpfiges Team nicht nur bei Messebesuchen neuen Trends auf der Spur. Ihre Aufgabe ist es, gesellschaftliche Veränderungen und Einflüsse in Mode, Architektur und Inneneinrichtung zu beobachten und Trends sogar vorwegzunehmen. "Wir setzen Entwicklungen in Farbe um", sagt Gutjahr. So stehe Grün für Nachhaltigkeit, Braun für Erdverbundenheit. "Natürliche Materialien wie Leder und Fell genießen ein hohes Ansehen. Diese Aspekte mögen bei der zunehmenden Beliebtheit von braunen Autos eine Rolle spielen."

Bis neue Farbtöne zusammengestellt sind, vergehen zwei bis fünf Jahre, da für neue Lackierungen spezielle Pigmente und Effekte kreiert und die Lacke zudem unter extremer Sonneneinwirkung getestet werden. Dafür werden Hunderte Lackbleche im Format von 20 mal 10 Meter mindestens ein Jahr auf einem Feld der Sonne ausgesetzt. Schließlich präsentieren die Designer ihre Kreationen auf sogenannten Domes, kleinen Lackmustern bei den Autoherstellern. Ein Ergebnis: Vor etwa zwei Jahren rollten schoko- und mokkafarbene Wagen durch die Werbung: der BMW X1 in Marrakesch-Braun, die Mercedes S-Klasse in Cubrid-Braun und der Volvo XC60 in Terra Bronze. "Die Farbe Braun steht für Stabilität und eine Heimatverortung in einer zunehmend mobilen Gesellschaft", sagt Gutjahr. An dieser Einschätzung muss etwas dran sein, denn mit sechs Prozent liegt Braun bei den Neuzulassungen mittlerweile sogar vor Rot.

Doch nicht jeder Farbtrend lässt sich planen. Gutjahr: "Dass die Farbe Weiß bei einigen Modellen sogar bis zu 25 Prozent ausmacht, hat mich überrascht." Mittlerweile ist jedes achte Auto weiß lackiert. Farbexperte Werner Rudolf Cramer wertet die Einführung der Farbe Weiß sogar als eine "Riesendummheit, denn die Autohersteller verzichten damit auf Millionen Euro, die sie für Speziallacke kassieren könnten".

Welche Motive bestimmen denn nun die Farbwahl beim Autokauf? "Bei der Kaufentscheidung liegen Ratio und Gefühl wie so oft im Konflikt", sagt Professor Harald Braem, Gründer des Bettendorfer Instituts für Farbpsychologie. "Es ist eine Frage von Mut und Konsequenz, sich zu einer Farbe zu bekennen. Der deutsche Autofahrer entzieht sich diesem Bekenntnis, er tarnt lieber seine Gefühle." Gebe es in naher Zukunft keine wesentliche Einstellungsänderung, dürfte der Trend dieser neuen Sachlichkeit anhalten, so Braem.

Wer beim Autokauf bereits an den späteren Wiederverkaufswert denkt, wählt ein Fahrzeug in den Farbtönen Silber, Schwarz oder Dunkelblau. Doch wer unter Sicherheit eine möglichst geringe Unfallgefahr versteht, sollte sich mit Weiß anfreunden. Denn es gibt nach Erkenntnissen des TÜV Nord durchaus einen Zusammenhang zwischen der Farbe eines Autos und der Wahrscheinlichkeit eines Unfalls. "Zwei Studien haben gezeigt, dass helle Autofarben besser wahrgenommen werden als dunkle", sagt Experte Ralf Buchstaller.

In den Schauräumen der Autohändler finden sich oft auch Modelle mit auffälligen Farben als Hingucker. Einige Lacktöne haben klingende Namen: Hot Magenta - eine Variante von Violett. Oder beispielsweise Vibrant Copper, Candy-Gelb, Mars-Rot und Tangerine Scream - ein Knallorange. Sogar Schwarz erhält unter der Bezeichnung Cosmic Black einen schillernden Effekt. Viele Autohersteller bieten mehr als 25 Farbtöne an, manche erfüllen sogar individuelle Lackwünsche des Kunden. Allerdings verzichten Käufer häufig darauf, da sie, so Thomas Reher, "auf eine Sonderlackierung drei bis vier Monate warten müssen".