Eine Glosse von Bernd Schiller

Nichts bleibt, wie es ist. Nicht einmal in Indien. Dort hatten bisher vor allem Erstbesucher aus so ordentlichen Gemeinwesen wie Deutschland den Eindruck, dass sich Land und Leute mehr den ewigen Werten Shivas und Vishnus verpflichtet fühlen. Ein gutes Karma ist den meisten Indern wichtiger als Alltagsdinge, auf die bei uns besonders penibel geachtet wird.

Zum Beispiel sah es nicht so aus, als störten abgefahrene Reifen an hoffnungslos überladenen Lastwagen die Fahrer, die vor allem damit beschäftig waren, in der Mitte zweispuriger Landstraßen Kurs zu halten. Noch lässt sich auch vielerorts beobachten, wie sich die Trucker Ziegelsteine aufs Gaspedal legen, ihre Version des Tempomats. Und was hierzulande allenfalls Energydrinks zugetraut wird, nämlich gegen Müdigkeit vorzubeugen, können auf den Wüstenpisten Rajasthans oder in den endlosen Weiten Zentralindiens schon mal harte Drogen sein. Wenn das schlecht ausging, blieb die Hoffnung auf die Götter und das Wissen, dass im nächsten Leben sowieso alles anders würde.

Nun sollen aber schon bald ganz irdische Mächte ins Lenkrad des Lebens greifen: Der deutsche TÜV prüft neuerdings Autos in Indien. Ausgerechnet in Indien, das bislang als Beispiel für die Nichtbeachtung aller Regeln galt, die hierzulande den Alltag auf der Straße prägen. Der TÜV Süd, der sich an diese Aufgabe heranwagt, hat eine erste Prüfstation in Delhi eingerichtet. Dort sollen jährlich 40 000 Autos unter die Lupe genommen werden, zunächst vor allem Laster. Eine Hauptuntersuchung aller Fahrzeuge, wie wir sie kennen, ist derzeit "nicht aktuell", schränken die amtlichen Tester und Tüftler ihre Aktivitäten auf dem neuen Milliardenmarkt ein. Nur in China wächst der Autoverkehr noch schneller als auf dem indischen Subkontinent.

Auch der Markt für Gebrauchtwagen boomt zwischen Jaipur und Chennai, bislang aber ohne Brief und Siegel von fachkundiger, unabhängiger Stelle. Noch zerschlagen, vor allem auf dem Lande, Verkäufer und Kaufinteressent eine Kokosnuss vor einem Tempel. Aus der Lage und der Vielzahl der Nussschalen ziehen sie dann Schlüsse, aus denen kein Außenseiter schlau wird. Auch das wird sich wohl spätestens erledigen, wenn der TÜV landesweit in das lukrative Geschäft der Gurus und Götter einsteigt.