Keine Schilder, schlechte Straßen, keine Tankstellen. Dennoch wagte Bertha Benz 1888 die erste Überlandfahrt im Automobil. Ein Film erzählt davon.

Ein unbändiger Stolz hatte mich ergriffen ... Es gab einen Auflauf in Pforzheim, und vor Verwunderung konnten sich die Pforzheimer nicht genug tun." Bertha Benz' Schilderung vom glücklichen Ende der ersten Überlandfahrt der Welt ist überliefert. Bertha Benz?

Viele verdiente Unternehmerpersönlichkeiten Deutschlands sind "hidden champions": Sie machen nicht auf sich aufmerksam, haben vielleicht kein Interesse daran. Ihr Erfolg und die Gewinne sprechen für sich. Ein verstecktes Dasein führt auch die "Unternehmerin". Noch bis vor Kurzem kam das Wort im Sprachgebrauch gar nicht vor und damit auch nicht die risikobereiten und leistungsstarken Frauen, die dahinter stehen. Wenn vom Lenker des ersten Automobils die Rede ist, mit dem 1888 die spektakuläre erste Überlandfahrt von Mannheim nach Pforzheim unternommen wurde, wird es ähnlich spracharm. Dieser erste "Lenker" war eine Lenkerin - Bertha Benz.

Über viele Jahrzehnte geriet sie in Vergessenheit. Nachdem sich das Automobil - auch dank ihrer Tüchtigkeit und Leidensbereitschaft - gegen viele Widerstände endlich durchgesetzt hatte, machten zwei Weltkriege den Gründerzeitwohlstand zunichte. Nach 1945 wurde das Auto im dann aufblühenden Wirtschaftswunderland zur reinen Männersache, noch heute sitzen bei allen großen Automobilkonzernen Männer am Steuer. Dabei verfügen viele Frauen inzwischen über genügend eigenes Geld, um sich ihren Traumwagen leisten zu können. Sie verstehen auch etwas von den unter der Motorhaube versammelten Kräften. Eigentlich hätte für diese Erkenntnis, dass sich auch Frauen für Technik begeistern können, der Blick auf Berthas vergessene Geschichte gereicht, an die jetzt ein Spielfilm im Ersten erinnert.

Geboren wurde Bertha Ringer am 3. Mai 1849 in Pforzheim, unmittelbar nach den stürmischen Revolutionsjahren. Ihr Vater, von Haus aus Zimmerermeister, hatte es mit Bauspekulationen zu Reichtum und Anerkennung gebracht. Was ihm fehlte, war ein Stammhalter. So heiratet er mit über 40 eine mehr als 20 Jahre jüngere Frau. Doch nach den ersten beiden Töchtern kommt mit Bertha "leider wieder nur ein Mädchen" auf die Welt, wie es frustriert in die Familienbibel geschrieben wird. Ein Eintrag, den Bertha mit zehn Jahren entdeckt, eine unvergessliche Kränkung. Und so wird sie ein Leben lang versuchen, den Makel des falschen Geschlechts wettzumachen.

Sie beginnt, sich für Männersachen zu interessieren. Für den Einsteigeschuppen zum Beispiel, wie man damals die Bahnhöfe nennt. Dabei hätte sie als höhere Tochter ein bequemes Leben führen können. Mehr als die Ehe mit einem Herrn aus den besten Kreisen der Badener Gesellschaft wird von ihr nicht erwartet. Doch das ist ihr zu wenig. Sie verliebt sich in den Tüftler Carl Benz, der viele Ideen im Kopf, aber keinen Taler in der Tasche hat und der besser über Technik als über Gefühle reden kann.

Carl wiederum ist fasziniert von der wissensdurstigen jungen Frau, die so gar nicht in die Zeit passen will - eine Zeit, in der Professoren propagieren, das weibliche Gehirn wiege weniger als das männliche und sei deshalb fürs Nachdenken nicht geeignet; oder: Zu viel Intellekt blockiere die Gebärfähigkeit, weshalb in Berthas Jugend auch nicht eine einzige Frau an der Universität zugelassen war.

Als sie auf Carl Benz trifft, begreift sie, dass mit ihm und vor allem mit diesem flotten Wagen, von dem er schwärmt, eine neue Mobilität gelingen kann. Seine ausgeprägte Leidenschaft für Werkbank und Schmieröl stört sie erstaunlicherweise nicht. Ganz im Gegenteil, genau das zieht sie an. Bertha ist ihrer Zeit weit voraus, als sie in der Vision vom pferdelosen Wagen die Chance ihres Lebens erkennt, während andere diese noch als Spinnerei abtun - nach dem Motto: Läuft doch alles bestens zu Fuß; auch gibt es Pferdekutschen und sogar die Eisenbahn. Wozu also ein wie von selbst fahrender Wagen?

Von Anfang an ist es mehr als Liebe, was beide verbindet und zu einer 60-jährigen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft führen wird. Er hat, weil er studieren konnte, das Wissen. Doch sie wird die treibende Kraft. Wenn er verzweifelt, drängt sie vorwärts. Wenn sein Motor stockt, gibt sie Gas.

Noch vor der Hochzeit im Juli 1872 bedrängt Bertha ihren Vater, ihr das Erbe vorzeitig auszuzahlen, damit sie und Carl sich eine eigene Existenz in Mannheim aufbauen können. Aber mit dem Geschäft geht es nur mäßig voran. Als Bertha mit dem dritten Kind hochschwanger ist - sie wird später noch zwei weitere bekommen -, steht der Gerichtsvollzieher in der Tür und lässt die Werkstatt leer räumen, weil sie ihre Schulden nicht mehr begleichen können. Tief fallen und trotzdem wieder aufstehen wird ein Muster, das die Ehe bestimmt.

Es sind wohlhabende Kapitalgeber, die das Unternehmen Benz immer wieder vor dem Untergang bewahren, nicht ohne den Erfinder dabei mit Verträgen über den Tisch zu ziehen, bei denen Benz kaum etwas zu sagen hat. Bertha aber hört nie auf, ihren Mann zu ermutigen. "Sie hat an all meinen Misshelligkeiten getreulich teilgenommen", schrieb Benz in seinen Erinnerungen. "Sie war wagemutiger als ich ..." Ihr Traum ist länger als die Nacht und überdauert alle Zweifel.

Rund 20 Jahre nach ihrer ersten Begegnung wird die einstige Vision Wirklichkeit: ein straßentauglicher Wagen. Begeistert rumpeln Bertha und Carl über das Fabrikgelände. Sobald sie aber hinaus auf die Straße fahren, sorgt das Gefährt für Angst, Geschrei und Erschrecken. Manche fallen verstört betend auf die Knie, weil sie glauben, dies sei der Karren des Teufels.

Folglich erteilen die Behörden statt einer Fahrgenehmigung Verbote und Strafen. Auch, weil immer wieder Hühner oder Hunde unter die Räder kommen. Pferde scheuen, Fuhrwerke kippen um. Kein Wunder, dass keiner so einen Wagen haben möchte. Am Anfang gleicht es tatsächlich mehr einem vor sich hin explodierenden Ungeheuer als dem Auto, das wir nach 125 Jahren Entwicklungszeit heute kennen.

Am 29. Januar 1886 bekommt Carl Benz als Erster das Patent für den Motorwagen. Zwei Jahre später ist noch immer kein einziges Modell verkauft. Und als das zuständige Ministerium am 1. August 1888 wieder nur eine begrenzte Fahrerlaubnis für die nähere Umgebung erteilt, hat Bertha die Nase voll. Mutig entschließt sie sich, mit den beiden Söhnen Eugen und Richard, 13 und 15 Jahre alt, eine spektakuläre Reise von mehr als 100 Kilometern zu wagen. Sie will die Erfindung ihres Mannes bekannt machen und beweisen, dass das Automobil nützlich ist.

Was heute gern locker als die erste Marketingtour verkauft wird, ist damals genau genommen eine Straftat. Diese erste Überlandfahrt der Welt war nicht nur verboten, sie war anstrengend und vor allem wegen der Fragilität des Wagens und der Straßenverhältnisse lebensgefährlich.

Es gibt keine geeigneten Straßen und Schilder, nur ein paar Wegweiser. Dieses erste Automobil hat noch keinen Gang für Steigungen, sodass die Jungen es bergauf schieben müssen. Bergab wird es heikel, weil der Wagen dreirädrig ist, aber die Wege sind von vierrädrigen Pferdekutschen ausgefahren. Als Folge schlackert das zierliche Vorderrad über Grasbüschel, Stöcke und Steine. Die drei Insassen haben verdammtes Glück, dass sie nicht kopfüber in einem Graben landen. Natürlich fehlen auch Tankstellen. Wie viel Treibstoff benötigt würde, ist vorher nicht abzusehen. Um den Treibstoff Ligroin zu bekommen, muss Bertha in Wiesloch einen Apotheker herausklingeln. Bei jedem Malheur muss Bertha mit Hutnadeln und viel Improvisationstalent reparieren. Ganz nebenbei hat sie die Idee einer Scheibenbremse. Nach zwölf Stunden und 57 Minuten kommen die drei in Pforzheim an. Heute fahren Oldtimer-Klubs die Originalstrecke nach - 110 Kilometer.

Die legendäre Überlandfahrt bewirkt, dass sich das Blatt wendet. Nun beginnt der Adel, den Motorwagen als Statussymbol für sich zu entdecken. "Tempo" heißt das neue Zauberwort. Autorennen kommen in Mode. Eben noch wurde ernsthaft diskutiert, ab welcher Geschwindigkeit der Mensch platzen werde und ob nicht bei den rasanten Kurvenfahrten seine Gedärme durcheinandergeraten. Jetzt beginnt eine neue Epoche - die des "höher - schneller - weiter". Das macht die Benz zwar reich, aber es gefällt ihnen nicht. Enttäuscht verlassen die Autopioniere die Firma und Mannheim, beide schon über 50. Carl Benz meint, mehr als 50 Kilometer pro Stunde seien nicht nötig. An seinem letzten Wohnort in Ladenburg im Rhein-Neckar-Kreis baut er mit seinen Söhnen Wagen, die zuverlässig sein und nie versagen sollen. Damit prägt er das Image BENZ, von dem die Marke bis heute profitiert.

Carl Benz stirbt am 4. April 1929. Bertha überlebt ihren Mann um 15 Jahre. Es sind Jahre, in denen jene Partei erstarkt, die nach der stürmischen Weimarer Republik für Ruhe und Ordnung sorgen will. Adolf Hitler entdeckt das Auto. Er will mit dem Glauben an die Kraft deutscher Technik auch sein Volk mobil machen, treibt den Autobahnbau voran, schafft die Luxussteuer für Automobile ab. 1937 wird eine "Gesellschaft zur Vorbereitung des Deutschen Volkswagens" gegründet, ein Jahr später in Volkswagenwerk umbenannt. Die Propagandamaschine der Nazis entdeckt auch die Autopioniere für ihre Zwecke.

Bertha Benz, inzwischen hoch in den 80ern, ist gerührt von der Huldigung für ihren verstorbenen Mann. Viel zu spät wird ihr bewusst, dass dieser Hitler, in dem sie wie so viele andere einen Retter sah, ein Mörder und Kriegstreiber ist. Bitter muss sie erkennen, dass selber nichts Böses zu tun nicht davor schützt, doch das Falsche geduldet zu haben.

An ihrem 95. Geburtstag, am 3. Mai 1944, wird ihr noch eine Freude zuteil. Die Technische Hochschule Karlsruhe, an der ihr Mann in jungen Jahren studierte, verleiht ihr die Würde einer Ehrensenatorin. Und ehrt die Frau, die an der Entstehung des Motorwagens mitgewirkt hat, die ihren Mann zu Weltruhm fuhr.

Zwei Tage später stirbt Bertha Benz. Den Kampf um den Beweis, dass sie mehr als "leider nur ein Mädchen" ist, hat sie am Ende gewonnen.

Angela Elis ist Autorin des Buchs "Mein Traum ist länger als die Nacht - wie Bertha Benz ihren Mann zu Weltruhm fuhr", Hoffmann und Campe, 352 Seiten, 20 Euro