Vier Sitze plus Kofferraum - mit dem Modell FF will die italienische Sportwagenschmiede künftig auch eine ganz neue Kundschaft ansprechen.

Wer auf der Suche nach einem viersitzigen Kombi mit bis zu 800 Liter Kofferraumvolumen und Allradantrieb ist, dem außerdem eine Rückfahrkamera den Blick nach hinten erspart und ein Teleskoparm den Sicherheitsgurt anreicht, ruft gewöhnlich beim Audi-, BMW- oder Mercedes-Händler an. Bei Ferrari nachzufragen, käme ihm nicht in den Sinn. Das hält Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo für einen Fehler. Denn nun bietet seine Sportwagenschmiede mit dem FF (für Ferrari Four) auch dieser Klientel ein Luxusgefährt mit hohem Unterhaltungswert. Der FF schneidet tief ins Herz der Marke, bietet er doch zahlreiche Merkmale, die Sportwagen-Enthusiasten bisher als Weichmacher der Grundhaltung von Ferrari abgelehnt haben. Aber gerade das ist von Montezemolo ausdrücklich gewollt: "Der neue FF soll ein Ferrari sein, wie ihn niemand erwarten konnte. Ich möchte neue Kunden ansprechen."

Der neue FF speist seine Radikalität aus der Notwendigkeit, der wachsenden Konkurrenz im Markt luxuriöser viersitziger Coupés eine echte Alternative entgegenzustellen. Der Vorgänger Ferrari 612 Scaglietti ist an diesem Anspruch gescheitert. Er war nicht radikal genug. Folglich bestand die größte Herausforderung der Roten in dem entwicklungspolitischen Spagat, einen Familien-Ferrari zu erschaffen, dessen Fond Kindersitze, Golfbags oder große Reisekoffer, auch Hunde und sogar ein Fahrrad beherbergen kann, der zudem auf Schnee sicher zu fahren ist und eine praktische Heckklappe bietet. Ohne dabei die Erwartungen treuer Ferrari-Fans an radikale Fahrdynamik und hohe emotionale Verbundenheit mit dem Auto zu enttäuschen.

Ein Mann nähert sich dem FF mit zwei Herzen. Das eine schlägt beruhigend angesichts zahlreicher Komfort- und Sicherheitsausstattungen für die familiäre und berufliche Nutzung. Das andere beginnt zu pochen, sobald Mann beide Hände ums Lenkrad legt und von Rennsport erprobten Ferrari-Genen profitiert. Dort bleiben sie übrigens bis zum Ende der Reise, so lange die Fahrt vorwärts verläuft. Denn wenn man den Knopf für den Rückwärtsgang in der Mittelkonsole nicht drücken muss, finden die Hände am Lenkrad alle Funktionen: Dort wird gestartet (roter Knopf), durchs Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe geschaltet (über Wippen), die Dämpferkennung verändert (schwarzer Knopf), der Blinker betätigt (zwei gummierte Schalter) und die Fahrdynamikregelung (Manettino) vorgewählt - das zweifellos wichtigste Zeugnis der Ingenieurs-Kompetenz. Der kleine Drehschalter schärft den Charakter des FF je nach Sicherheitsempfinden des Piloten in Abhängigkeit von Straßenzustand und persönlicher Risikobereitschaft weiter als in jedem anderen Ferrari.

Kurz aufbellend springt der neu entwickelte, 660 PS starke 6,3-Liter-V12-Frontmittelmotor (Normverbrauch: 15,4 Liter/100 km) ins Leben, ein im Leerlauf sonor schnurrendes Uhrwerk, das die leiseste Bewegung des Gasfußes in vehementen Vortrieb umsetzt und dabei ein Konzert mit unvergesslichen Momenten intoniert. Im Innenraum sehr unterhaltsam, aber niemals die Unterhaltung störend, bläst er seine Lebensfreude der Außenwelt ungeniert entgegen und wechselt die sieben Stufen des Doppelkupplungsgetriebes auf ein Fingerzupfen hin unterbrechungsfrei, beim Runterschalten mit belebendem Zwischengas. 3,7 Sekunden dauert der Sprint auf Tempo 100, erst bei 335 km/h ergibt sich der FF dem Gegenwind. Das gewaltige Antriebsmoment von bis zu 800 Nm fließt vorzugsweise an die Hinterräder. Nur wenn Sensoren dort Traktionsverlust melden, schalten zwei Kupplungen auch die Vorderräder blitzschnell zu.

In seiner fahrdynamischen Präzision, der spontanen Gasannahme mit linearen Kraftaufbau, der betörenden Akustik sowie mit kraftstrotzenden Proportionen der von Pininfarina entworfenen Karosserie liegt der Reiz des FF. Trotz des unter Ferrari-Fans polarisierenden Karosseriekonzepts, sind die für 2011 geplanten 800 Einheiten bereits vergriffen. Das kann nicht an der italienischen Freundlichkeit liegen, die sieben Jahre kostenfreien Service garantiert (ohne Verschleißteile) und schon gar nicht am Einstandspreis von 260 000 Euro. Vermutlich aber daran, dass Montezemolo wieder einmal den richtigen Riecher hatte: "Mit radikal anderen Ferrari wie diesem erneuern wir uns immer wieder selbst!"