Seit zehn Jahren macht VW in seiner Wolfsburger Autostadt mehr als Geschäfte. Es geht um die perfekte Inszenierung

Niemand hat sie eingeladen. Sie sind einfach so gekommen und haben sich auf dem Gelände der Autostadt niedergelassen. Wenn der VW-Erlebnispark in Wolfsburg am 1. Juni zehn Jahre alt wird, feiern sie dennoch mit: die Enten, die im größten Trubel auf einem Bein dösen. Oder das Gänsepaar, das unablässig am Rasen zupft. Nur die Karpfen waren gewollt, um den Algenwuchs in den Gewässern in Schach zu halten.

2009 war mit 2,21 Millionen Besuchern das bislang beste Jahr. Diejenigen, die ihr Fahrzeug abholen und dieses mit einem Besuch des Erlebnisparks verbinden, sind in der Minderheit: 41 500 Neuwagen wurden in der Autostadt in den ersten drei Monaten 2010 in Empfang genommen. Rund zwei Drittel der Besucher, so rechnet man in Wolfsburg, kommen also ohne den Anlass, ein neues Auto gekauft zu haben.

"Wir hätten mit unserem Konzept genauso gut scheitern können", sagt Otto Ferdinand Wachs, der Mitte der 90er-Jahre vom damaligen VW-Vorstandsvorsitzenden Ferdinand Piëch beauftragt worden war, eine Erlebniswelt auf dem Gelände anzusiedeln. Eine Welt, die das Abholen des Neuwagens zu etwas Unvergesslichem machen sollte. Vorbilder gab es damals nicht. "Das, was uns noch am meisten angesprochen hatte, war die Architektur des Getty Museums in Los Angeles. Doch inhaltlich ließ sich da wenig abschauen, weil sich beim Getty alles nur um die Gemäldesammlung dreht."

Wachs sitzt hoch oben auf dem offenen Balkon des Restaurants "Chardonnay" über der Piazza in der Eingangshalle, während unter ihm die Besucher lärmen. "Es tut mir leid, dass es hier so laut ist", kokettiert der Chef. Eine Schulklasse hat auf der Piazza herausgefunden, wie das Werk des Künstlers Ingo Günther zu verstehen ist. Unter der Decke hängt ein riesiger Globus, während der gläserne Fußboden unter ihm rund weitere 80 kleine Globen präsentiert. Auf denen hat der Künstler Themen anschaulich gemacht, die unsere Welt bewegen. Darunter fällt die Statistik der Nikotintoten in einzelnen Ländern ebenso wie der Verlauf der Glasfasernetze, die am Meeresboden verlegt sind.

Was sich bereits in der Eingangshalle der Konzernwelt abzeichnet, ist der Dreiklang aus Kunst, Bildung und Mobilität. "Mittlerweile halten hier Schulklassen offiziell einen Teil ihres Unterrichts ab", sagt Pressesprecherin Ilka Seer. Die kreative Leitung der Autostadt befand und befindet sich in den Händen von Maria Schneider.

Hatte sie schon erfolgreich im Kunstmuseum Wolfsburg Ausstellungen zeitgenössischer Kunst unterstützt, dürfte sie in der Autostadt ihre eigentliche Wirkungsstätte gefunden haben. Statt wie bislang die größten zeitgenössischen Kunstschaffenden nur einer Zielgruppe zu präsentieren, gelang es ihr, die Kreativen für Projekte in der Autostadt zu begeistern.

Jürgen Mayer H., Berliner Stararchitekt und Künstler, hat "Level Green" gestaltet, die Ausstellung über Nachhaltigkeit. Der Dufttunnel auf dem Gelände stammt vom dänischen Künstler Olafur Eliasson, der schon in der Londoner Tate Gallery ausgestellt. Im Premium Clubhaus verspiegelte Olaf Nicolai, der bereits auf der Biennale in Venedig und der Documenta in Kassel vertreten war, einen Bugatti Veyron 16.4, das stärkste Serienauto der Welt.

In diesem Zusammenhang wurde sogar Jeff Koons, einem der teuersten Kreativen der Jetztzeit, eine Absage erteilt. "Wir haben uns für einen anderen Künstler entschieden", sagt Schneider, die sich nicht nur der Kunst, sondern mehr noch dem Publikum verpflichtet fühlt.

Der VW-Konzern gibt 30 Prozent zum Budget, den Rest erwirtschaftet der Erlebnispark selbst. Dennoch wäre 2003 das Projekt fast gescheitert. Die Verweildauer der Besucher war damals auf 3,5 Stunden gesunken. "Die Aufenthaltsdauer gibt aber die Qualität des Besuches wieder", sagt Wachs. Daraufhin wurde die gesamte Konzernwelt im Eingangsgebäude umgebaut, die Kulturreihe "Movimentos" gegründet, mehr Wert auf die Pädagogik gelegt. "Heute liegen wir bei 5,8 Stunden, das ist ein Riesensprung."

So könnte man meinen, in der Autostadt sei alles eitel Sonnenschein. Ist es aber nicht. Denn das Niveau, das auf den Ebenen der Konzernwelt mit "Level Green", Design- und Börsen-Workshops oder dem Oldtimer-Museum "Zeithaus" erreicht wird, halten die einzelnen Markenpavillons nicht.

Im Lamborghini-Haus wird ein Gallardo hinter Gitterstäben an der Wand befestigt. Dann dröhnen zur Lasershow 110 Dezibel Motorsound aus den Lautsprechern. Seat und Skoda hingegen präsentieren ihre Fahrzeuge nicht viel anders als im Handel. Im Markenpavillon von VW wiederum werden Lifestyle-Filmchen gezeigt, die die Werte des Konzerns ebenso zeigen sollen wie die vier Jahreszeiten. Im Anschluss wird man in einen Raum geleitet, in dem der Cross Polo gezeigt wird.

Mittlerweile scheinen auch die Marketingabteilungen der Marken, die ihre Häuser selbst gestalten, ein Einsehen zu haben. "Der VW-Pavillon wird umgebaut", sagt Wachs.

Kürzlich seien zudem zwei Verantwortliche der einzelnen Marken nach einer Runde durch Konzernwelt und Zeithaus bei Wachs vorstellig geworden. "Die meinten, dass sie nun wohl in den Pavillons Gas geben müssten." Einsicht ist manchmal der erste Schritt zur Besserung.