Der neue Jaguar XJ streift die Fesseln der Tradition ab und überrascht mit unkonventionellem Design. Diesel und Benziner unter der Haube.

Frankfurt. Für Selbstkritik ist sich Mike O'Driscoll nicht zu schade: "Wir haben viel zu lange in den Rückspiegel geschaut und dabei bisweilen den Blick nach vorn vergessen", sagt der Jaguar-Chef. Wenn aber Ende Mai als neues Flaggschiff der nächste XJ an den Start geht, dann haben die Briten nicht nur binnen 24 Monaten die gesamte Flotte auf Vordermann gebracht, sondern wenden sich damit auch ganz gezielt der Zukunft zu. Selbst wenn das aus vielen Perspektiven unkonventionelle Design des Luxusliners alle überrascht und manche erschreckt.

Designchef Ian Callum ist diesmal in die Vollen gegangen. Statt weiter gegen Mercedes S-Klasse oder BMW Siebener zu steuern, hat er den XJ mit einer fließenden Coupé-Linie in die Nähe von Maserati Quattroporte oder Porsche Panamera gerückt. Dass sich die Betrachter vor allem an der Kehrseite des Viertürers, den mit schwarzem Plastik verkleideten C-Säulen oder der riesigen Blechwüste des Heckdeckels stoßen könnten, hat er billigend in Kauf genommen. "Aber jetzt sieht man wenigstens, dass wir ein neues Auto haben. Damit wird Jaguar endlich wieder entsprechend wahrgenommen", freut sich Deutschland-Chef Peter Modelhart, der den Wagen bei uns zu Preisen ab 76 900 Euro verkauft. Dabei ist der XJ so üppig ausgestattet, wie es sich für eine Limousine der oberen Zehntausend gehört: Mindestens sechs Airbags sind ebenso Standard wie Leder, Xenonlicht, die Zwei-Zonen-Klimaautomatik und der berührungsempfindliche Monitor, der auf Wunsch ein unterschiedliches Bild für Fahrer und Beifahrer zeigt. Außerdem gibt es einen Tempomat mit Abstandsregelung und den elektronischen Blick in den Toten Winkel.

Auch innen beginnt beim XJ eine völlig neue Zeit. Zwar taucht man nach wie vor ein in eine vornehme Welt aus Lack und Leder, die allerdings deutlich moderner und obendrein stilvoller wirkt. Das liegt nicht nur an den massiven Metall-Ausströmern der Klimaanlage, die wie Flugzeugtriebwerke aussehen, sowie dem versenkbaren Drehknopf, mit dem man die sechs Gänge der Automatik vorwählt. Das liegt vor allem am neuen Cockpit, aus dem alle klassischen Instrumente verschwunden sind. Stattdessen gibt es zum ersten Mal in der Luxusklasse einen formatfüllenden Monitor, auf dem Tacho & Co in schmucken Animationen dargestellt sind. So lassen sich Informationen abhängig von der jeweiligen Fahrsituation besser gewichten, und die konventionelle Uhr in der aufgeräumten Mittelkonsole wird zum einzigen mechanischen Messinstrument im Luxusliner.

Während sich das Auge umstellen muss, bleibt das Fahrgefühl ganz das alte: "Hinter dem Steuer darf man keine Überraschung erleben", fasst Tim Clark aus der Entwicklungsmannschaft die Zielvorgabe zusammen: "Da muss sich ein Jaguar anfühlen wie ein Jaguar." Und das ist in jedem Fall ziemlich sportlich: Dank der Aluminium-Karosserie mit einem Leergewicht von 1,8 Tonnen immer ein paar Zentner leichter als die Konkurrenz, lässt sich der Luxusliner deshalb überraschend handlich durch die Kurven zirkeln. War er eben auf der Autobahn noch der gemütliche Gleiter, genügt ein Knopfdruck auf die Sporttaste, damit die Schmusekatze zum Raubtier wird. Dann sind die Zeiger plötzlich rot hinterleuchtet, die Lenkung wird ein wenig strammer, und der Motor klingt nicht nur kerniger, sondern reagiert auch spontaner.

Geblieben ist auch der sportliche Zuschnitt des XJ. Obwohl das Auto auf stolze 5,12 Meter gewachsen ist und die von den Türen quer durch das Cockpit geschwungene Holzleiste sowie der verglaste Himmel optisch mehr Weite erzeugen, geht es hier deshalb deutlich enger zu als in einer S-Klasse oder einem Siebener. Die schlanke, athletische Silhouette fordert eben an Kopf und Schultern ihren Tribut.

In Fahrt bringen den XJ die bekannten Motoren aus seinem kleinen Bruder XF. Sie alle sind mit der Sechsgang-Automatik des deutschen Zulieferers ZF gekoppelt und erreichen mühelos Tempo 250. Das Basismodell treibt ein V6-Diesel mit drei Liter Hubraum und 275 PS, der in 6,4 Sekunden die Marke von 100 km/h erreicht. Daneben gibt es einen fünf Liter großen V8, der als Sauger 385 PS und mit Kompressor 510 PS auf die Straße bringt. Das reicht für Sprintwerte auf Sportwagen-Niveau: 5,7 bzw. 4,9 Sekunden sind keine schlechte Ansage.

Das Gebot der Sparsamkeit erfüllt allerdings nur der Diesel, der mit 7,0 Litern und 184 g/km CO2 zu den Saubermännern im Segment zählt. Die Benziner sind zwar gemessen an der Leistung auch keine Säufer, verbrauchen aber 11,4 und 12,1 Litern trotzdem zu viel. Und Besserung lässt auf sich warten: Sechszylinder-Benziner, Start-Stopp-Automatik oder gar Hybrid-Komponenten wird es für den XJ frühestens in zwei Jahren geben.