Hamburg. Sexexpertin Ann-Marlene Henning erkrankte selbst: Sie spricht über den langen Weg zurück zur Lust und gibt Paaren Mutmach-Tipps.

„Wenn alles wehtut, dann denkst du garantiert nicht an Sex.“ Die Sexexpertin Ann-Marlene Henning leidet an heftigen Post-Covid-Symptomen und beschert dem Sex-Podcast „Ich frage für einen Freund“ den ersten Dreier.

Im Gespräch mit der Hamburger Sexexpertin Katrin Hinrichs und Journalist Hajo Schumacher berichtet die Bestsellerautorin, wie es sich anfühlt, wenn die Lust abhandenkommt, was dauernde Müdigkeit für eine Partnerschaft bedeuten kann und wie der Spürspaß zurückkommt.

Long-Covid: Für Gedanken an Sex gab es lange keinen Platz

Aus Dänemark zugeschaltet, berichtet Sexologin Ann-Marlene Henning über die Nachwirkungen ihrer Covid-Infektion. Zwölf Tage lag sie im Koma, gehen und stehen hat sie erst wieder lernen müssen. Ein mühsamer, monatelanger Prozess sei es gewesen, begleitet von Gelenkschmerzen und vielen anderen Symptomen. Schlafstörungen, extreme Kurzatmigkeit, Gedächtnisaussetzer und eine geringere Aufmerksamkeitsspanne gehören dazu. „Dass der Kaffee nicht mehr schmeckt, ist mein kleinstes Problem“, heißt das Buch, das sie über ihr Leben nach der Covid-Infektion geschrieben hat.

„Das klingt maximal ungeil“, sagt Journalist Schumacher. „Und trifft es genau auf den Punkt“, sagt Ann-Marlene Henning. Für Gedanken an Sex sei eine Zeit lang kein Platz gewesen, gibt die Expertin freimütig zu. Erkrankt in einer Beziehung ein Partner plötzlich schwer, hat das Auswirkungen auf das Paar, viele Ängste treten zutage. Das hat auch Sexualtherapeutin Katrin Hinrichs in ihrer Praxis beobachtet. „So etwas verändert natürlich die Dynamik einer Beziehung. Es gibt Paare, die halten das nicht aus. Andererseits kann in dieser Situation auch eine ganz neue Intimität entstehen. Beide Partner haben Angst, mit der sie umgehen müssen. Manchmal im wahrsten Sinne Berührungsangst.“

Der Sex verändert sich

„Ja! Das ist das richtige Wort. Darum geht es und darum, sich Zeit zu lassen. Viele Leute glauben, alles, auch der Sex, wird wie vorher. Aber wenn es mir schon wehtut, mich in meinem Bett umzudrehen, werde ich nicht so Sex haben wie vorher. Wichtig ist es, sich nicht unter Druck zu setzen. Und jetzt etwas Unangenehmes für viele Männer: Es gibt Studien, die belegen, dass Covid die Blutgefäße beeinflusst und damit bereits bestehende Erektionsproblematiken verschlechtert oder bei vorher nicht betroffenen Männern auslösen kann“, sagt Ann-Marlene Henning.

Wie sich die Monate der langsamen Rekonvaleszenz angefühlt haben, will Schumacher wissen. „Du sagtest, es gab längere Phasen, in denen du nicht an Sex gedacht hast. Hattest du Panik, dass das nie wiederkommt?“ Tolle Frage, findet Ann-Marlene Henning. „Wäre ich nicht Sexologin, hätte ich mich genau das auch gefragt. Wer gerade aus dem Koma aufwacht, denkt nicht an Sex. Aber nach einem halben Jahr habe ich gemerkt, dass es langsam besser wird, und dann dachte ich irgendwann, ,ach, ich könnte mal wieder eine Selbsterotikrunde drehen‘. Das war das erste Mal, dass ich wieder Lust gespürt habe.“

„Das ist für beide Seiten eine riesige Herausforderung"

Hennings Genesungsgeschichte, vor
allem in Bezug auf die wiederentdeckte Sexualität, sei ein gutes Beispiel für Paare in einer ähnlichen Situation, findet Katrin Hinrichs. „Das ist für beide Seiten eine riesige Herausforderung. Deshalb wollen wir Mut machen. Es dauert seine Zeit, vielleicht auch mal etwas länger, aber ja, die Sexualität kommt wieder“, sagt Hinrichs. Wobei sich übrigens nicht nur diejenigen, die sich von Erkrankungen oder von Operationen erholen, oft erst langsam wieder ins Liebesleben hineintasten müssen. Die Angehörigen leiden mit, stellt Ann-Marlene Henning klar. Wer sich Sorgen um die Partnerin oder den Partner mache, plane nicht im nächsten Moment, gleich gemeinsam im Bett loszulegen.

„Hast du ein paar Mutmach-Tipps für Paare, die unter so einer Situation leiden?“, möchte Katrin Hinrichs von der Kollegin wissen. Die Situation realistisch betrachten, rät die Expertin, sich trauen, über absurde Dinge zu lachen und wichtig: einfach leben. „Dann merkt man irgendwann, ,oh, es geht ja besser‘. Und jeden Tag sollte man sich Glücksmomente suchen und in Kontakt mit dem Gegenüber gehen.“ Katrin Hinrichs wirft ein: „Und gern auch mit dem eigenen Körper, so wie du das erzählt hast, um wieder Spürspaß zu entwickeln.“

Long-Covid: Sexualität kann eine Kraftquelle sein

Die letzte Frage für diese Folge kommt von Hajo Schumacher: „Kann Sex, Erotik, Zärtlichkeit so etwas wie Heilkraft entwickeln und es schaffen, auch Post-Covid-Patientinnen und -patienten zurück ins Leben zu holen?“ Ein überzeugtes Ja von Ann-Marlene Henning: „Wenn es einem nicht mehr so schlecht geht, wenn man gehalten oder gestreichelt wird, kann Sexu­alität entstehen. Emotionale Unterstützung kann eine ganz wichtige Ressource im Heilungsprozess sein.“

Wie das aussehen kann, illustriert ein Erfahrungsbericht aus der Praxis von Katrin Hinrichs: „Ein Mann war nach einer Knie-OP bei mir und litt unter heftigen Schmerzen. Für ihn war Sex ein echter Painkiller – die einzige Zeit, in der ihm nichts wehtat. Das zeigt wieder, dass Sexualität nicht nur ein gutes Gefühl vermittelt, sondern eine große Kraftquelle sein kann.“