Ballett-Ausbildung

Leiter der Ballettschule: „Wir brauchen Energiebündel“

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Sebastian Blottner
Schülerinnen der Staatlichen Ballettschule Berlin.

Schülerinnen der Staatlichen Ballettschule Berlin.

Foto: Julia Weisbrich

Schulleiter Ralf Stabel im Interview. Wer an die Ballettschule will, muss talentiert sein und Spaß daran haben, sich zu präsentieren.

Berlin.  Ralf Stabel leitet die Staatliche Ballettschule und Schule für Artistik Berlin. Außerdem ist er Honorarprofessor und stellvertretender Studiengangsleiter Bühnentanz an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Seine Promotion schrieb Stabel über den „Einfluss von Politik auf die Tanzausbildung“. Mit ihm sprach Sebastian Blottner.

Berliner Morgenpost: Herr Stabel, wem würden Sie von einer Karriere als Profitänzer abraten?

Ralf Stabel: Also abraten würde ich wirklich niemandem, weil das ein toller Beruf ist. Psychologen bestätigen, dass Kinder besonders gut heranwachsen, wenn sie gemeinsam Erfolgserlebnisse haben – wie beim Tanzen.

Wer professionell tanzt, tut unheimlich viel für Körper und Geist, lebt gesund, muss permanent fit sein und seinen Körper pflegen. Tänzer werden meines Wissens nicht umsonst überdurchschnittlich alt. Und: Tanzen macht schlau!

Tanzen macht schlau

Man wird schlauer? Wie das?

Stabel: Kennen Sie den Effekt beim Joggen, dass man danach geistig hellwach ist? Für täglich trainierende Tänzer ist das ein Dauerzustand. Sie müssen unglaublich viele Reize verarbeiten, brauchen zusätzlich zur körperlichen Fitness Koordinierungssinn, Rhythmusgefühl, Musikalität und Interaktionsfähigkeit.

Die Senatsverwaltung „wundert“ sich mitunter, dass die Staatliche Ballettschule regelmäßig das berufliche Gymnasium mit den besten Abiturzeugnissen ist, obwohl unsere Schülerinnen und Schüler so viel trainieren müssen. Nicht obwohl, antworte ich dann, sondern gerade deswegen.

Die Schüler der Ballettschule sind handverlesen. Welche Anforderungen müssen sie erfüllen?

Stabel: Salopp gesagt, darf man nicht unbedingt zu den Kindern gehören, die schon beim Aufsagen des Weihnachtsgedichts anfangen zu weinen. Abgesehen von unerlässlichen körperlichen Anlagen, die unsere Kollegen zusammen mit Medizinern überprüfen, ist es wichtig, dass ein Kind Lust hat, sich zu produzieren, mit seinem Körper etwas zu erzählen.

Wir brauchen Energiebündel, die über Tische und Bänke gehen – und dies möglichst elegant. Eine Hyperaktivitätsdisposition sollte man aber nicht mit künstlerischer Begabung verwechseln.

Mit Mitte 30 frei, etwas Neues zu beginnen

Wer es schafft, eine Tanzkarriere zu starten, sieht sich meist lange vor dem Rentenalter mit deren Ende konfrontiert. Ist das nicht ein Problem für die Tänzer?

Stabel: Ich sehe das so: Wer bei uns mit zehn Jahren anfängt, professionell zu tanzen, der hat mit 35 schon einmal ein ganz tolles Leben verbracht. Der ist topfit und kann ohne Weiteres neu durchstarten.

Praktisch jeder kommt doch einmal in eine Midlife-Crisis, die oft nur frustriert ausgesessen wird. Im Unterschied zu den meisten Menschen sind Tänzer ziemlich genau in dieser Lebensphase frei, etwas Neues zu beginnen.

Umschulen oder studieren

Aber nicht alle können anschließend Tanzlehrer werden.

Stabel: Müssen sie auch nicht. Schauen Sie sich unsere Absolventen an: Mit achtzehn haben die eine abgeschlossene Berufsausbildung als staatlich geprüfter Bühnentänzer in der Tasche, außerdem einen Bachelor of Arts sowie das Abitur oder zumindest die Fachhochschulreife. Sie können also umschulen, studieren oder einen Master aufsatteln. Ihnen stehen alle Wege offen.

Was haben Ex-Tänzer, was andere nicht haben?

Stabel: Wenn es eine Gruppe gibt, die gelernt hat, leistungsorientiert zu arbeiten, dann sind es Tänzer. Sie sind absolut verlässlich. Wenn der Vorhang aufgeht, muss ein Tänzer immer beste Qualität abliefern, egal ob es in der Hüfte zieht oder die Oma gerade einen Verkehrsunfall hatte.

Wenn so eine Disziplin verinnerlicht ist, bekommt man sie nicht mehr heraus. Ich kann jeder Firma nur raten, Tänzer einzustellen.