Berlin. Das Kabinett hat einen Gesetzentwurf zur Musterfeststellungsklage verabschiedet. Geschädigte Dieselfahrer könnten davon profitieren.

Die Bundesregierung will Verbrauchern das Erstreiten von Schadenersatz deutlich erleichtern. Das Kabinett verabschiedete am Mittwoch in Berlin den Gesetzentwurf für die Musterfeststellungsklage (MFK), durch die Verbände im Namen von geschädigten Verbrauchern vor Gericht ziehen können.

Geschädigte können sich der Musterklage anschließen und vermeiden dadurch hohe und abschreckende Prozesskosten. Mit der MFK werden auch die Weichen für die Schadenersatzansprüche von Millionen Besitzern von Volkswagen-Fahrzeugen mit manipulierten Dieselmotoren gestellt.

Der Konzern rechnet jedoch nicht mit massenhaften Schadenersatzfällen. Während SPD-Politiker den Entwurf von Justizministerin Katarina Barley vorbehaltlos begrüßten, wollen Unionspolitiker das Vorhaben auf Missbrauchsgefahren durch nur am Prozess interessierte Anwälte abklopfen.

Ziel der MFK ist es, entweder einen Vergleich mit der Vereinbarung eines bestimmten Schadenersatzes zu erzielen oder aber den Schaden und seinen Verursacher feststellen zu lassen. In letzteren Fall haben die Verbraucher eine Handhabe, um in einem individuellen Verfahren vergleichsweise einfach ihre Forderungen durchsetzen zu können. Klageberechtigt sind nur bestimmte Verbände. Die Morgenpost beantwortet wichtige Fragen zu dem Verfahren:

Wer darf die Klage einreichen?

Klageberechtigt sind nicht die Verbraucher, sondern bestimmte Verbände. Um Missbrauch etwa durch neu gegründete Scheinverbände auszuschließen, sieht der Entwurf eine Reihe von Beschränkungen vor. Nur Dachverbände mit mindestens zehn Mitgliedsverbänden oder mindestens 350 Mitgliedern dürfen klagen. Die Organisationen müssen seit mindestens vier Jahren in einer vom Bundesamt für Justiz geführten Liste erfasst sein. Außerdem müssen sich die Verbände nachweislich auf Verbraucherinteressen konzentrieren und sich höchstens zu fünf Prozent aus Zuwendungen von Unternehmen finanzieren.

Wann wird geklagt?

Voraussetzung für eine MFK sind zehn Verbraucher, die den gleichen Schaden vom selben Urheber glaubhaft machen können. Der Verband meldet dann die Klage an, beim Bundesamt für Justiz wird ein Klageregister eingerichtet. Nun startet eine Frist von zwei Monaten, innerhalb der sich mindestens 50 Geschädigte in das Register eintragen müssen. Erst dann kann der Prozess vor einem Landgericht starten. Mit der Eintragung in das Register wird für die Verbraucher die Verjährung ihrer Schadenersatzansprüche gestoppt. Eine weitere Musterfeststellungsklage in derselben Sache kann von einem anderen Verband nicht erhoben werden. Verbraucher können nicht zweigleisig fahren: Wer sich einer MFK angeschlossen hat, kann nicht gleichzeitig in derselben Sache selbst klagen.

Welches Ziel wird mit der Musterfeststellungsklage verfolgt?

Mit dem Prozess soll ein Schaden und dessen Verursacher von Gericht festgestellt werden. Endet eine Musterfeststellungsklage aus Verbandssicht erfolgreich, können die Verbraucher wesentlich einfacher ihre Schadenansprüche stellen. Eine MFK kann aber auch in einem Vergleich enden. Beide Prozessparteien können sich dann auf eine Entschädigung einigen, die jedem in dem Klageregister aufgeführten Verbraucher zusteht. Verliert der Verband die Klage, sind den Verbrauchern zumindest keine Kosten entstanden, und sie können die Prozessrisiken bei einem individuellen Verfahren besser abschätzen.

Ab wann gilt die neue Klageform?

Die Musterfeststellungsklage soll laut Koalitionsvertrag am 1. November 2018 in Kraft treten. Die Koalitionäre wollen damit verhindern, dass die Schadenersatzansprüche der Besitzer von VW-Die­selautos mit manipulierender Abgassteuerung verjähren. Der Gesetzentwurf muss nun durch die Bundestagsberatungen gehen. Der Bundesrat muss dem Gesetz nicht zustimmen, damit es wirksam werden kann.

Welches könnte das erste große Verfahren sein?

Erwartet wird, dass die erste große Musterfeststellungsklage Volkswagen betrifft. „Es gibt Schätzungen, dass etwa zwei Millionen Dieselfahrer in den Genuss dieser Klage kommen könnten“, sagte Barley. Volkswagen hat in Millionen Dieselfahrzeugen eine Steuerung eingebaut, die Abgastests erkennt und dann in einen abgasärmeren und den Normalbetrieb verfälschenden Modus umschaltet. Die Schadenersatzansprüche der Besitzer dieser Autos laufen Ende 2018 aus. (rtr)