Berlin. Vegan, bio, tierversuchsfrei – keines dieser Versprechen garantiert echte Naturkosmetik. Wie Verbraucher sich trotzdem zurechtfinden.

Aus den Tuben und Tiegeln müffelte es bisweilen streng, in Reformhäusern standen sie oft in mit Patchouli bedufteten Ecken. Jahrzehntelang kam Naturkosmetik auch in den Köpfen der Verbraucher nicht aus der esoterischen Ecke heraus. Heute ist sie der am stärksten wachsende Markt im Bereich Pflege und Schönheit.

„8,5 Prozent macht Naturkosmetik mittlerweile am deutschen Markt aus“, sagt Branchenexpertin Elfriede Dambacher. Doch was unterscheidet die Produkte von konventioneller Kosmetik?

Ein einheitliches Label gibt es bislang nicht. Das machen sich Hersteller zunutze, die „naturnahe“ Kosmetik verkaufen, natürliche Inhaltsstoffe anpreisen oder die Worte „Bio“, „vegan“ oder „tierversuchsfrei“ auf die Packung drucken. Zu Naturkosmetik macht sie das nicht automatisch.

Was macht Naturkosmetik aus?

Kurz zusammengefasst: Sie soll keine stark veränderten Stoffe enthalten. „Alle Inhaltsstoffe sollen sich wieder in den Naturkreislauf zurückführen lassen, ohne die Umwelt zu belasten“, sagt Dambacher.

Es gilt das Vorsichtsprinzip: Gibt es wissenschaftliche Hinweise darauf, dass ein Stoff, ein Herstellungsprozess oder eine Technologie Risiken für Gesundheit oder Umwelt bergen könnte, werden diese nicht eingesetzt. „Die Hersteller verzichten deshalb auf zahlreiche in der EU zugelassene Stoffe“, erklärt Dambacher.

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    Etwa Mineralöl, in dem eine unter Krebsverdacht stehende Gruppe von Verbindungen vorkommt, die sogenannten MOAH. Ebenso einige Stoffe aus der Gruppe der Polyethylenglykole, abgekürzt PEG. Sie sollen die Hautbarriere durchlässiger für Giftstoffe machen können.

    Nicht immer ohne Chemie

    Seit 2003 berät die Dortmunder Drogistin und Betriebswirtin Unternehmen und ist Programmvorsitzende für einen jährlichen Branchenkongress für Naturkosmetik. Viele Hersteller hätten über die Jahre Pionierarbeit geleistet, sagt Dambacher. Sie hätten etwa pflanzliche Silikone entwickelt sowie auch alternative Konservierungsmethoden, die umstrittene Haltbarmacher wie Parabene überflüssig machen.

    Doch das funktioniert nicht immer ohne Chemie. Bestimmte Verfahren sind auch bei Naturkosmetik erlaubt, um die Stoffe nutzbar zu machen. Konservierungsstoffe etwa dürfen im Labor hergestellt werden, müssen aber genauso auch in der Natur vorkommen. Die Hersteller sprechen dann von „naturidentischen“ Inhaltsstoffen.

    „In solchen Fällen muss auf der Verpackung stehen ,konserviert mit XY‘“, erklärt Kosmetikexpertin Kerstin Etzenbach-Effers von der Verbraucherzentrale NRW. Diese Stoffe würden aber sehr selten zum Einsatz kommen. „Stattdessen haben die Produkte beispielsweise einen hohen Alkoholanteil, der ebenfalls keimhemmend wirkt.“

    Welche Siegel gibt es?

    „Die in Deutschland häufigsten Siegel sind Natrue und BDIH“, sagt Etzenbach-Effers. Beide stellen strenge Anforderungen an die Hersteller. Einheitlich sind die Richtlinien jedoch nicht.

    2013 schlossen sich zudem mehrere europäische Verbände zur Cosmos-Gruppe zusammen. Dazu gehören der deutsche BDIH, die britische Soil Association sowie der italische ICEA und die französischen Verbände Ecocert und Cosmebio. Sie einigten sich auf gemeinsame Mindeststandards. Ein einheitliches Siegel haben aber auch sie nicht – lediglich unter dem verbandseigenen Siegel steht zusätzlich das Wort „Cosmos“.

    Hersteller könnten Fantasiesiegel auf ihre Produkte drucken

    „Für Verbraucher wäre es wichtig, dass die EU ein eigenes Siegel entwickelt, das einheitliche Kriterien schafft“, sagt Dambacher. Doch daran gebe es wenig Interesse – sowohl vonseiten der Politik als auch von der Kosmetiklobby. „Wenn Naturkosmetik nicht definiert ist, gibt es mehr Interpretationsmöglichkeiten, was Naturkosmetik ist“, sagt die Expertin. Auf diese Weise sei sogenanntes Greenwashing möglich.

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      Hersteller könnten Fantasiesiegel auf ihre Produkte drucken, groß mit Bildern von Pflanzen oder natürlichen Inhaltsstoffen werben, ohne dass Verbraucher die Chance hätten, echte Naturkosmetik von naturnaher zu unterscheiden. „Die existierenden Siegel bieten Orientierung, aber Verbraucher, die es genau wissen wollen, müssen sehr tief in das Thema einsteigen“, so Dambacher.

      Was ist Biokosmetik?

      Naturkosmetik ist nicht automatisch Biokosmetik. Produkte, die beispielsweise das Siegel der großen Verbände Cosmos/BDHI oder Natrue tragen, müssen nicht zwingend Biobestandteile enthalten. Möchten Hersteller zusätzlich damit werben, dass ihr Produkt Biozutaten enthält, müssen 95 Prozent der natürlichen Inhaltsstoffe aus kontrolliert biologischem Anbau stammen. „Wasser darf dabei nicht mitgezählt werden“, erklärt Dambacher. Wasserbasierte Produkte wie etwa Shampoo könnten den Biostatus deswegen kaum erreichen, so die Expertin.

      Auch hier ist die uneinheitliche Kennzeichnung ein Problem. „Ein Biosiegel wie bei Lebensmitteln gibt es für Kosmetik nicht“, sagt Dambacher. Bei den Cosmos-Verbänden etwa steht unter dem Logo noch das Wort „organic“, das im englischen Sprachraum für Bioprodukte verwendet wird. Teils entwickeln Hersteller aber auch eigene Biokennzeichnungen.

      Zusätzlich haben einige Verbände auch noch ein Stufenkonzept. Natrue beispielsweise unterscheidet zusätzlich noch nach Naturkosmetik mit Bioanteil. „Für Verbraucher ist das eher verwirrend“, sagt Etzenbach-Effers. Sie müssten am Ende doch wieder das Kleingedruckte lesen, „Stoffe aus biologischer Landwirtschaft sind dort meistens speziell gekennzeichnet“.

      Wann ist die Auslobung „ohne Tierversuche“ erlaubt?

      In der EU sind Tierversuche mit Kosmetik seit 2013 grundsätzlich verboten. In den Mitgliedsstaaten darf seither auch keine Kosmetik verkauft werden, die außerhalb der EU im Tierversuch getestet wurde, um der europäischen Kosmetikrichtlinie zu entsprechen.

      Die Werbeaussage „tierversuchsfrei“ ist deshalb mittlerweile streng reguliert und darf nur dann verwendet werden, „wenn ein bestimmtes Kosmetikprodukt noch nie in einem Tierversuch getestet wurde, auch nicht in Vorstufen irgendwo auf der Welt“, wie das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) erklärt.

      Meisten Naturkosmetika sind vegan

      Tierversuchsfreie Kosmetik ist jedoch nicht zwangsläufig Naturkosmetik – das Gleiche gilt für vegane Produkte. Zwar seien die meisten Naturkosmetika vegan – also strikt ohne tierische Bestandteile –, erklärt Dambacher. Aber einige tierische Substanzen wie zum Beispiel Bienenwachs, Lanolin aus der Schafswolle oder der rote Farbstoff Karmin, der aus Schildläusen gewonnen wird, dienen auch als Alternative zu synthetischen Inhaltsstoffen.

      „Vegane Produkte ohne Naturkosmetiklabel können deshalb auch synthetische Substanzen enthalten. Da hilft nur ein Blick auf die Liste der Inhaltsstoffe“, so die Expertin.