Kiel/San Diego. Sauerstoffarme Gebiete sind um das Vier- bis Zehnfache gewachsen. Forscher sehen dies als eines der gravierendsten Probleme der Ozeane.

Peruanische Fischer kennen das Phänomen seit Jahrhunderten: Zu manchen Zeiten drängen sich die Fische vor der Küste so dicht an der Wasseroberfläche, dass die Fischer sie quasi nur noch in ihre Boote schaufeln müssen. Doch was ihnen einen guten Fang beschert, betrachten Forscher seit einigen Jahren mit Sorge. Denn die Areale mit Sauerstoffmangel, der Fische und andere Meeresbewohner an die Wasseroberfläche drängt, sind durch den Einfluss des Menschen massiv gewachsen.

In den Ozeanen weltweit haben sich Sauerstoffmangelgebiete – oft Todeszonen genannt – in den vergangenen Jahrzehnten massiv ausgedehnt, wie ein internationales Forscherteam im Fachblatt „Science“ berichtet. Die Experten des Global Ocean Oxygen Network (GO2NE), darunter Physiker, Chemiker und Biologen, waren vor anderthalb Jahren von einem UNESCO-Gremium, der Zwischenstaatlichen Ozeanographischen Kommission, zusammengerufen worden.

„Wir sollten eine Bestandsaufnahme machen und prüfen, wie akut das Problem ist“, sagt Andreas Oschlies vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Sein Fazit: „Aus unserer Sicht wird das Thema völlig unterschätzt. Es ist eines der großen Probleme der Ozeane – neben Erwärmung, Versauerung und dem Anstieg des Meeresspiegels.“

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    Natürlicher Prozess ist aus dem Ruder gelaufen

    Ein natürlicher Abfall der Sauerstoffkonzentrationen ist aus vielen Meeresregionen bekannt: etwa im Atlantik vor Namibia und Mauretanien, im Pazifik vor der Westküste Amerikas und im Arabischen Meer. Dort werden abgestorbene Algen beim Absinken Richtung Meeresgrund von Unmengen Bakterien zersetzt. Dabei verbrauchen die Mikroorganismen Sauerstoff – mitunter so viel, dass dieser in bestimmten Wassertiefen weitgehend oder gar völlig verschwindet. „Vor Peru erstreckt sich ein solches Gebiet regelmäßig in einer Tiefe zwischen zehn und einigen 100 Metern und ragt wie eine Zunge weit in den Pazifik hinaus“, sagt Oschlies. Um diesem Sauerstoffmangel zu entgehen, kommen viele Fische nahe an die Wasseroberfläche.

    Allerdings läuft der natürliche Prozess aus dem Ruder, wie das GO2NE-Team in „Science“ schreibt: In offenen Ozeanen sind sauerstofffreie Zonen in den vergangenen 50 Jahren um das Vierfache gewachsen, in küstennahen Gewässern sogar um das Zehnfache. Insgesamt, so Oschlies, haben sauerstofffreie Gebiete zurzeit ein Volumen, das dem Vierzigfachen der Ostsee entspricht. In allen Ozeanen sank der Sauerstoffgehalt des Wassers in dieser Zeit um zwei Prozent – das entspreche sieben Milliarden Tonnen.

    Fischlaich stirbt in solchen Gebieten ab

    „Sauerstoff ist für das Leben in den Ozeanen grundlegend“, sagt Erstautorin Denise Breitburg von der University of California in San Diego. „Die Abnahme des Sauerstoffs zählt zu den gravierendsten Umweltproblemen menschlicher Aktivitäten auf der Erde.“ Auch in Randmeeren wie der Ostsee, dem Schwarzen Meer, dem Golf von Mexiko und der Chesapeake Bay an der US-Ostküste schrumpfen die Lebensräume der Meeresbewohner. Sie haben weniger Möglichkeiten, Fressfeinden auszuweichen, Fischlaich stirbt in solchen Gebieten ab, Korallen und andere wenig mobile Meeresbewohner sind bedroht.

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      Die Hauptursache sehen die Autoren in der Erwärmung der Ozeane durch den Klimawandel. „Wärme verringert die Wasserlöslichkeit von Gasen in Wasser“, so Oschlies. Die Wasseroberfläche nimmt weniger Sauerstoff auf. Gleichzeitig stabilisiert wärmeres Oberflächenwasser die Schichtung der Wassersäule. Während kaltes Wasser absinkt und den gelösten Sauerstoff in die Tiefe trägt, bleibt warmes Wasser oben. „Die großräumige Umwälzbewegung nimmt langsam ab“. Selbst wenn die Treibhausgas-Emissionen ehrgeizig gedrosselt würden, dürften die Temperaturen des Oberflächenwassers vorerst weiter steigen.

      Eintrag von Nährstoffen als Hauptursache

      Zweite Hauptursache ist in Küstennähe der steigende Eintrag von Nährstoffen – durch zunehmende Besiedlung, steigenden Autoverkehr mit Stickstoff-Emissionen und vor allem durch Dünger aus der Landwirtschaft. Diese Nährstoffe, insbesondere Stickstoff und Phosphor, lassen zunächst Algen wuchern, die dann nach dem Absterben von Bakterien zersetzt werden. Auch dies lässt sich kurzfristig kaum ändern, denn die Erdbevölkerung wächst rapide. Seit 1950 hat sich die Zahl der Menschen verdreifacht, parallel dazu stieg der Verbrauch an Düngemitteln um das Zehnfache.

      Ein oft beschriebenes hiesiges Beispiel ist die Ostsee, die schon als größte anthropogen bedingte – also menschlich verursachte – Todeszone der Welt beschrieben wurde. Michael Naumann vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) ist mit dem Begriff nicht glücklich. „Die Ostsee ist ein Sonderfall“, betont er. „Bei ihr ist der Sauerstoffmangel in erster Linie durch die geologische Struktur vorgegeben.“

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        Süßwasser bleibt an der Oberfläche

        Die Ostsee ist ein weitgehend von den Weltmeeren abgeschirmtes Randmeer, in das Flüsse aus einem Teil Europas Süßwasser bringen. Da Süßwasser leichter ist als Salzwasser, bleibt es an der Oberfläche. Die stabile Schichtung verhindert einen großflächigen Sauerstofftransport in die Tiefe. In den Senken der Ostsee entstehen daher regelmäßig Todeszonen auf einer Fläche von 40.000 bis 70.000 Quadratkilometern. Zum Vergleich: Niedersachsen hat knapp 48.000 Quadratkilometer Fläche.

        Gelindert wird diese Situation nur dann, wenn große Mengen von sauerstoffreichem Salzwasser aus der Nordsee einströmen. „Das passiert nur bei bestimmten Wetterlagen“, sagt Naumann. Dazu müssen erst kräftige Ostwinde Wasser aus der Ostsee heraustreiben und anschließend anhaltende Stürme von Westen verstärkt Wasser aus der Nordsee zurückdrücken. Nur dann erreicht der Sauerstoff aus dem zuströmenden Salzwasser die zentralen Ostseebecken und die Todeszonen schrumpfen.

        Saisonales Phänomen im Spätsommer

        Zwischen solchen großen Einstromereignissen können mehrere Jahre liegen. In küstennahen Gebieten ist die Situation eine andere: Hier sorgt die Nährstofffracht aus den Flüssen für Sauerstoffmangel. Dies ist hauptsächlich ein saisonales Phänomen im Spätsommer nach der Algenblüte, mit den Herbsttürmen bessert sich die Lage.

        Die Wissenschaftler mahnen zum Handeln. Priorität müsse die Einhaltung des Klimaabkommens von Paris haben. Wichtig sei zudem, den Eintrag von Nährstoffen ins Meer zu reduzieren. Zudem müsse man mehr Schutzgebiete in den Meeren schaffen: So könne man bedrohten Arten eine Zuflucht bieten. (dpa)