Berlin. Gesund für Herz, Hirn und vielleicht sogar ein Helfer gegen Depressionen? Wissenschaftler setzen große Hoffnungen in die Kakaobohne.

Im feuchtheißen Dschungel Südamerikas wuchsen die ersten Kakaobäume – und mit den dattelgroßen Bohnen im Inneren ihrer Früchte die Grundzutat von Schokolade. Schon um 1100 vor Christus reichten die Urvölker Honduras zu besonderen Anlässen Alkohol aus dem vergärten Fruchtfleisch. 2500 Jahre später brauten die Azteken im heutigen Mexiko aus den zerkleinerten Bohnen, aus Mais, Vanille, Pfeffer und Wasser eine Art Energydrink.

Auf westlichen Kaffeetafeln fand Kakao im 16. Jahrhundert zu seinem Begleiter Zucker, mit Fett wurde die Mischung zur Schokolade. Apotheken verkauften sie als Schlafhelfer, Kräftigungsmittel oder Aphrodisiakum. Heute gilt Schokolade als Dickmacher. Industrie und Wissenschaft wollen die so weit gereiste Kakaobohne auf die nächste Evolutionsstufe heben. Irgendwo in ihr, so die Hoffnung, steckt der Schlüssel zu Gesundheit und Schönheit – denn nur ein Bruchteil ihrer vermuteten 10.000 Inhaltsstoffe ist bislang bekannt.

Suche nach der Super-Substanz

„Das ist wie ein großer, weißer Fleck auf der Landkarte, und irgendwo dort liegt vielleicht eine Blockbuster-Substanz versteckt“, sagt Mikrobiologe Matthias Ullrich von der Jacobs University in Bremen. Er koordiniert das Projekt „Cometa“ – kurz für Cocoa Metabolomics. Im Auftrag eines der weltweit größten Schokoladenproduzenten, der Schweizer Barry Callebaut AG, versuchen er und sein Team, der Kakaobohne ihre Geheimnisse zu entlocken.

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    Welche Fette und Eiweiße, welche Pflanzenstoffe schlummern in ihren Fasern, wie verändern sie sich beim Trocknen und Rösten? Es soll ein Kakao-Atlas entstehen, der die Eigenschaften von Bohnen verschiedener Herkunft kartiert. „Wenn wir auf einen vielversprechenden Stoff stoßen, wissen wir, welche Bohne von welchem Kontinent unter welchen Bedingungen besonders viel davon bildet“, sagt Ullrich. 3,6 Millionen Euro investiert der Schokoriese, der unter anderem Hershey, Ferrero, Nestlé, Mondelēz und Mars mit Rohware versorgt, bis 2020 in das Mammutvorhaben.

    Offizielles EU-Gesundheitsversprechen für Schokolade

    Schon 2013 gelang es der Barry Callebaut AG als bisher wohl einzigem Hersteller, sich ein von der EU abgesegnetes Gesundheitsversprechen, einen sogenannten Health Claim, für zwei Produkte zu sichern. Auf diesen darf es seither recht kryptisch heißen: „Kakao-Flavanole helfen, die endothelabhängige Elastizität der Blutgefäße aufrechtzuerhalten und tragen damit zu einem normalen Blutfluss bei.“ Heißt: Die sogenannten Flavanole – eine Gruppe von sekundären Pflanzenstoffen, die auch etwa in Äpfeln, vielen Beeren oder Teeblättern stecken – lassen die Blutgefäße „stärker auf blutdruckerhöhende oder blutdrucksenkende hormonelle Signale im Körper reagieren“, erklärt Ullrich. „Das schont das Herz.“

    Geltung hat das Gesundheitsversprechen allerdings nur bei einer täglichen Aufnahme von 200 Milligramm dieser Stoffe. Und die stecken nur in Schokolade, deren Herstellung darauf abgestimmt ist. Denn der Gehalt an Flavanolen kann schon durch die Röstung der Bohnen stark reduziert, ihre Wirkung durch die Zugabe von Milch zunichte gemacht werden. In weißer und in Milchschokolade ist der Gehalt wegen des geringen Kakaoanteils minimal. Dass Forscher es dennoch auf die Kakaobohne abgesehen haben, ist der besonders hohen Konzentration der Flavanole geschuldet. So steckt etwa fünfmal mehr von dem Flavanol Epicatechin in Kakaopulver als in einem Apfel. Er ist einer der wenigen Stoffe aus der großen Gruppe, dessen positive Wirkung auch schon isoliert untersucht wurde.

    Positive Wirkung auf Herz-Kreislauf ist unstrittig

    „Dass einige Flavanole eine günstige Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System haben, ist unstrittig“, bestätigt Kardiologe Helmut Gohlke, der auch im Vorstand der Deutschen Herzstiftung sitzt. Darauf deuteten Dutzende Studien hin. So zeigte etwa eine im April veröffentlichte Analyse von Forschern der australischen University of Adelaide einen leicht blutdrucksenkenden Effekt von Kakao-Flavanolen. Einbezogen wurden ausschließlich sogenannte Interventionsstudien, bei denen genau kontrolliert wurde, was die insgesamt 1804 Probanden aßen. 2016 erschien im Fachblatt ­„Heart“ eine vom Universitätskrankenhaus Stockholm durchgeführte Beobachtungsstudie mit 67.640 Teilnehmern. Sie deutet an, dass Schokoladenkonsum das Herzinfarktrisiko senken kann.

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      „Hinter dieser These steht allerdings noch ein Fragezeichen. Beobachtungsstudien sind nicht so belastbar wie Interventionsstudien“, erklärt Gohlke. Und selbst wenn es diesen schützenden Effekt gibt: „In Deutschland wäre das Präventionspotenzial wohl ausgeschöpft, denn der Durchschnittsdeutsche isst etwa 30 Gramm Schokolade täglich“, so Gohlke – wobei nur ein kleiner Teil davon dunkle Schokolade ist. Das Segment macht in Deutschland etwa 18 Prozent des Umsatzes aus. Ohnehin dürften die positiven Effekte der Stoffe aus der Kakaobohne nicht als Aufruf zum hemmungslosen Schoko-Schlemmen verstanden werden, meint Gohlke. Denn in den Süßwaren stecken eben auch reichlich Fett und Zucker – und Übergewicht gilt als Hauptrisikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

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      Eine derzeit laufende Untersuchung will die störenden Zutaten Zucker und Fett ausklammern. 18.000 gesunde Männer und Frauen über 60 sollen im Rahmen der US-Studie „Cosmos“ ein Kakao-Präparat in Pillenform schlucken. Die Effekte der enthaltenen Flavanole wollen Wissenschaftler der Harvard Medical School und des Fred Hutchinson-Krebsforschungszentrums über mehrere Jahre mit denen eines Multivitaminpräparats vergleichen.

      Eine Kontrollgruppe soll ein Placebo erhalten. „Eine interessante Fragestellung“, sagt Gohlke. Finanziert wird die Studie vom Pharmariesen Pfizer und dem Mars-Konzern. Für Mars ist es nicht der erste Ausflug in den Bereich Gesundheit. Das Unternehmen verkauft bereits eine Schokolade als Nahrungsergänzungsmittel, das in den USA mit dem Slogan „fördert ein gesundes Herz“ wirbt. In Europa ist es bislang nicht erhältlich.

      Hinweise auf bessere Gedächtnisleistung

      Doch die Wissenschaft erwartet sich noch mehr von den Kakao-Flavanolen. Sie sollen die kognitive Leistungsfähigkeit verbessern und Depressionen lindern. Die Datenlage für diese Annahmen ist ausbaufähig. Psychologen der britischen University of Reading fanden 2015 bei ihrer Analyse von 21 Studien „ermutigende Hinweise“ darauf, dass Flavanole Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Informationsverarbeitung zugutekommen – aber nur für einen begrenzten Zeitraum. Wie genau das funktioniere, sei unklar. Größere Studien sollen das künftig klären. Medikamentös depressiv gestimmte Ratten zeigten sich nach der Gabe der Stoffe wieder zuversichtlicher, berichteten französische Forscher 2008. Der stimmungsaufhellende Effekt zeigte sich 2013 auch im Menschversuch australischer Wissenschaftler – allerdings bei gesunden Probanden.

      Dass dennoch schon heute 18 Prozent der Deutschen glauben, Schokolade helfe gegen Depressionen, wie eine in dieser Woche veröffentlichte Umfrage der Stiftung Deutsche Depressionshilfe ergab, könnte noch einen anderen Grund haben. So gilt auch der in der Kakaobohne enthaltene Stoff Tryptophan – eine Aminosäure – als Stimmungsaufheller. Tryptophan trägt zur Bildung des Hormons Serotonin bei, das negative Gefühle wie Angst oder Aggressivität dämpfen kann. In einigen Ländern sind Tryptophan-Präparate als milde Psychopharmaka zugelassen, in Deutschland lediglich als Schlafmittel. Es gilt allerdings als sicher, dass die Aufnahme von Tryptophan allein aus Nahrung keinen Einfluss auf die Gemütslage hat.

      Faltenfrei dank Kakaostoffen?

      Auch der Haut soll die Kakaobohne Gutes tun. 2008 meldeten Wissenschaftler der Universität Münster eine Erfindung namens CocoHeal zum Patent an. So der Name für eine Stoffgruppe mit der komplizierten Bezeichnung N-Phenylpropenoyl-L-Aminosäureamide, welche die Biopharmazeuten aus der Kakaobohne isoliert hatten. Sie veröffentlichten mehrere Studien, die nahelegten, dass ihre Entdeckung unter anderem wunde Haut schneller heilen lassen und Falten vorbeugen kann. Kosmetik oder andere CocoHeal-Produkte gibt es aber bisher wegen Problemen bei der Lizenzvergabe nicht, heißt es von dem beteiligten Forscher Andreas Hensel.