Frick. Ein weltweiter Umstieg auf Okö-Landwirtschaft hätte weitreichende Folgen. Der Mensch müsste sein Konsumverhalten komplett umkrempeln.

100 Prozent Biolandbau könnte zwar theoretisch die Welt ernähren – aber nur unter drastischen Änderungen der Agrarmethoden und des Konsumverhaltens. Das geht aus Berechnungen hervor, die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“ veröffentlicht haben. So müssten die Menschen zum Beispiel weniger Fleisch essen und weniger Lebensmittel verschwenden. Ein deutscher Experte hält den von den Forschern vorgeschlagenen Weg zu einer weltweiten Ökolandwirtschaft allerdings für ein „Wünsch-dir-was-Szenario“.

Der Umsatz von Bioprodukten in Deutschland machte im Jahr 2016 mit 9,48 Milliarden Euro etwa 5 Prozent am gesamten Lebensmittelmarkt aus. Laut Bundeslandwirtschaftsministerium wurde auf rund 7,5 Prozent der Agrarfläche Biolandbau betrieben.

Umsatz an Bioprodukten von 9,48 Milliarden Euro

Global gesehen beträgt der Flächenanteil den Studienautoren um Adrian Müller vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau im schweizerischen Frick zufolge nur rund 1 Prozent. Die Wissenschaftler schreiben, dass eine hundertprozentige Umstellung auf biologische Landwirtschaft unter heutigen Bedingungen langfristig nicht möglich ist.

Sie gehen davon aus, dass die Weltbevölkerung bis 2050 stark wachsen wird und die Landwirtschaft dann ungefähr 50 Prozent mehr Erträge bringen muss. Deshalb sei anzunehmen, dass schon unter konventionellen Bedingungen Anbauflächen stark ausgeweitet werden müssten. Unter ökologischen Bedingungen wäre dieser Effekt sogar noch stärker, weil die Erträge beim Biolandbau niedriger sind.

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    Mensch und Tier konkurrieren um gleiche Nahrung

    Um bis zum Jahr 2050 komplett auf Bio umzustellen, müssten im schlimmsten Szenario – bei großen Ernteeinbußen und ungünstigsten Bedingungen durch den Klimawandel - 81 Prozent mehr Flächen als heute landwirtschaftlich genutzt werden.

    Unter ökologischer Landwirtschaft verstehen die Forscher um Adrian Müller unter anderem einen Verzicht auf Nitratdünger und Pestizide. Die Konsequenzen aus einem reinen Biolandbaus könnten aber gemildert werden, indem der Verbrauch von Agrarprodukten eingeschränkt werde, schreiben die Wissenschaftler. Zum einen könne die Lebensmittelverschwendung verringert werden, aber auch beim Tierfutter gebe es Einsparpotenzial. Denn Menschen und Tiere konkurrieren zum Teil um die gleiche Nahrung. Wenn Tiere nur Gras oder Nebenprodukte der Lebensmittelindustrie als Nahrung bekämen, würde dem Menschen mehr bleiben.

    Tiere anders füttern und weniger wegschmeißen

    Milchkühe auf dem Agrarfest der Agrargenossenschaft in Niederpöllnitz (Thüringen).
    Milchkühe auf dem Agrarfest der Agrargenossenschaft in Niederpöllnitz (Thüringen). © dpa | Sebastian Kahnert

    Die Forscher glauben: Bei einer hundertprozentigen Umstellung der Tierfütterung und einer Verringerung der Verschwendung um die Hälfte würden die heutigen Anbauflächen ausreichen, um bis 2050 weltweit komplett auf Bio umzustellen – und trotzdem genug Nahrung für alle zu haben. Tiere anders füttern und weniger wegschmeißen – das klingt auf den ersten Blick machbar. Aber: Potenzielle Lebensmittel könne man nur dann komplett aus dem Tierfutter verbannen, wenn gleichzeitig wesentlich weniger Tiere gehalten würden, schreiben die Forscher. In anderen Worten: Die Menschen müssten deutlich weniger tierische Produkte essen.

    Lebensmittel werden zu Bio-Gas

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      Um dennoch die gleiche Menge an Kalorien und Proteinen aufzunehmen, könnten sie alternativ zum Beispiel mehr zu Hülsenfrüchten greifen. Eine weltweite Umstellung auf Biolandwirtschaft hätte ökologische Vorteile, so die Wissenschaftler. Die konventionelle Landwirtschaft verwendet beispielsweise Dünger mit Stickstoff. Der gelangt auch in Böden und Gewässer. Das kann Ökosysteme belasten. Der Agrarwissenschaftler Andreas Bürkert von der Universität Kassel arbeitet speziell zur internationalen ökologischen Landwirtschaft und Agrarökosystemforschung in den Tropen und Subtropen.

      Fleischkonsum in China und Indien steigt derzeit stark an

      Er meint, dass die Ideen der Studie schwer umzusetzen sind: „Die Studie zeigt zwar umfassend, was prinzipiell möglich ist, aber eine weltweite Etablierung des fleischarm essenden, vernünftigen Bildungsbürgers ist unrealistisch. Das ist ein Wünsch-dir-was-Szenario, das nur durch große Veränderungen in der Politik und in der Bildung vorangetrieben werden könnte.“ Bürkert weist zudem daraufhin, dass in einigen Teilen der Welt der Fleischkonsum stark ansteige – etwa in China und Indien. Auch gebe es in Afrika landwirtschaftlich genutzte Flächen, die ohne den Einsatz von Mineraldünger, insbesondere Phosphat, nicht nachhaltig ackerbaulich nutzbar wären.

      Jürgen Heß, der ebenfalls an der Universität Kassel forscht und dort das Fachgebiet Ökologischer Landbau leitet, glaubt, dass die Studienergebnisse tendenziell eine gute Richtung aufzeigen: „Es ist seit Jahren bekannt, dass der Fleischkonsum eingeschränkt werden müsste – schon der Gesundheit zuliebe. Aber das ist ein Prozess, der sich über Jahrzehnte entwickelt, über Generationen.“ Landwirte und Verbraucher könnten nicht gezwungen werden, sich umzustellen. In absehbarer Zeit sei deshalb eine komplette Umstellung auf Biolandwirtschaft auch in Deutschland nicht abzusehen.