Berlin/Hamburg. Der ehemalige Mönch Anselm Bilgri erklärt, wie Firmen, Führungskräfte und Mitarbeiter gestärkt werden können. Mit Ideen eines Heiligen.

Ein Leben im Kloster, das stellt man sich recht behaglich vor – zumindest im Vergleich zum Alltag mit Beruf, Familie, Terminen, Herausforderungen des Lebens. Nonnen und Mönche arbeiten hie und da in Klosterläden, pflegen die innere Einkehr, haben keine Jobsorgen und genießen die Ruhe. So weit das Klischee.

Anselm Bilgri schmunzelt, wenn er das hört. „Mich hat das Klosterleben sehr realistisch auf das Miteinander von Menschen blicken lassen“, sagt er. Mehr noch, Bilgri lebte 30 Jahre in der Benediktinerabtei Sankt Bonifaz in München und Andechs, war dort Cellerar, also Wirtschaftsleiter und damit Vorgesetzter von 200 Mitarbeitern. Heute ist der 64-Jährige Coach, Mediator, Autor und Vortragsredner.

Wichtige Werte für Führungskräfte

Dabei sind ihm vor allem die Themen Achtsamkeit, Muße und Werte wichtig – weil sie auch Themen des Heiligen Benedikt sind, weil er ihre Bedeutung als Führungskraft selbst erlebt hat und weil er sie Menschen bewusst machen möchte.

Und zwar alles andere als abgehoben, sondern handfest und bodenständig. Ein großes Anliegen ist es Anselm Bilgri zu zeigen, wie entscheidend diese Werte für Führungskräfte und den Erfolg von Unternehmen sind.

Nach 30 Jahren Austritt aus dem Kloster

Anselm Bilgri studierte in München, Rom und Passau Philosophie sowie Theologie und wurde 1980 von Kardinal Joseph Ratzinger – später Papst Benedikt XVI. – zum Priester geweiht. Bereits 1975 war er in die Benediktinerabtei eingetreten und dort 18 Jahre Cellerar. Zu der Abtei gehört nämlich das Kloster Andechs als Wirtschaftsgut – mit Brauerei, Gastronomie, Landwirtschaft.

Nach knapp 30 Jahren aber, im Jahr 2004, verließ er das Kloster. „Es gibt Ursache und Anlass“, erklärt der ehemalige Mönch. Die Ursache sei das Gefühl gewesen, dass ihm alles zu eng geworden sei – das Ordensleben, die Religion.

Und der Anlass? „Es gab eine neue Leitung im Kloster, die mit mir nicht mehr zufrieden war.“ Ein Umstand, den manch einer kennt, der Umstrukturierungen oder Führungswechsel in einem Unternehmen erlebt hat.

Es galt also, sich nach 30 Jahren neu aufzustellen. Bilgri gründete ein Beratungsunternehmen mit, dann schuf sich der ehemalige Seelsorger aber mehr Freiraum für Vorträge und Bücher und für die Beratung von Führungskräften.

Führungskräfte fühlen sich vor allem anfangs unsicher

„Schon im Kloster hatten wir Kurse für Manager angeboten“, erinnert sich der gebürtige Bayer. Auch er selbst ließ sich durch Seminare unterstützen, als er den Job des Cellerars übernahm. „Ob man Mönch ist oder nicht, es braucht Erfahrung, wie man Menschen führt.“

Er stellte fest, dass er sich unsicher fühlte. „Man hat eine gewisse Angst vor seinen Mitarbeitern. Das gesteht sich kaum jemand ein.“ Viele würden ihre Unsicherheit kompensieren – mit Autorität.

Dabei ginge es in einem Führungsjob vor allem darum, Menschen anzuleiten, das Beste aus sich herauszuholen und neuen Anforderungen gegenüber offen zu sein. Dafür braucht ein Vorgesetzter aber auch das, was in dem Wort Führungskraft steckt: Kraft, zu führen.

Wirtschaft und Spiritualität schließen einander nicht aus

Bilgri besann sich auf den Gründer seines Ordens, Benedikt von Nursia. „Er fand nicht, dass man von Gebet und Luft allein leben könne“, erklärt Bilgri.

Der Leitspruch der Benediktiner ist „ora et labora“, „bete und arbeite“ – die Verbindung von Wirtschaften und Spiritualität, aber auch die Balance von Leben und Arbeiten. Einige Unternehmen beschäftigen sich mit Themen wie Unternehmenskultur, man spricht vom „spirit“, dem Geist einer Firma.

Damit das nicht nur hübsch in Statuten festgehaltene Worte sind, sondern mit Leben gefüllt wird, erinnert Bilgri an die 1500 Jahre alte Ordensregel Benedikts. Sie beginnt: „Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters. Neige das Ohr deines Herzens. Nimm den Zuspruch des gütigen Vaters willig an und erfülle ihn durch die Tat.“ Bilgri: „Ich habe überlegt, wie man die Regeln in die heutige Zeit übersetzen kann.“

Gespür für sich selbst ist wichtig

Für ihn geht es darum, hören zu wollen, zu horchen, hinzuhören. Es meint eine Führungskraft, die ihre Mitarbeiter in all ihren Eigenheiten wahrnimmt, sich einfühlt, Ansichten respektiert – auch wenn man sie nicht teilt. Nicht bewerten, sondern auch in dem „Anderssein“ des anderen das Potenzial für neue Erkenntnisse erkennen.

Das ist oft leichter gesagt als getan, das weiß auch Bilgri. Die Realität sieht oft so aus: Eine Konferenz jagt die nächste, Termine über Termine, Druck von oben. „Um achtsam sein zu können, um ein Gespür für andere haben zu können, braucht es ein Gespür für sich selbst“, sagt der Theologe. Heißt: Innere Ruhe und Ausgeglichenheit, um offen sein zu können für andere.

Tätigkeiten, die einen berühren statt durchgetaktete Freizeit

Er rät, Rituale oder Tätigkeiten im Alltag zu finden, die einen erfüllen. „Es ist eine Zeit, die nur mir gehört.“ Schnell zum Yoga, Sportprogramm oder sich Zeit freischaufeln für ein Treffen mit Freunden – das sei oft nur Durchtakten der Freizeit. „Es geht darum, etwas für sich zu finden, das einen wirklich berührt.“ Und es gehöre der Wille dazu, etwas zu verändern – auch sich selbst.

Bilgri mochte in seiner Zeit als Cellerar das Mittagsgebet. „Zehn Minuten Psalmen beten, dann fünf Minuten still dasitzen. Das hat mich aus der Arbeit geholt“, sagt er. Und er hat es beibehalten.

In einer Firma kann man ebenfalls Rituale finden, die den Mitarbeitern zeigen, dass sie wahrgenommen werden – und sei es ein gut gelaunter Auftakt einer Teamsitzung, ein Danke oder Lob, ein gemeinsames Feiern von Geburtstagen, ein ruhiger Austausch, das klare Signal: Du bist wertvoll für unser Team.

Diese Achtung sollte vom Management ausgehen und täglich vorgelebt werden – sodass sich alle anderen daran orientieren. Benedikt spricht, so Bilgri, von den „exempla maiorum“, dem Beispiel der Führungskräfte. Erstaunlich, wie modern und aktuell diese 1500 Jahre alten Ideen des Ordensgründers sind.

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Vortrag

Anselm Bilgri wird am Mittwoch, 20. September um 19 Uhr einen Vortrag mit dem Titel „Achtsamkeit und Muße in Unternehmensführung“ in den Räumlichkeiten der Hamburger Uni halten. Der Raum wird noch bekannt gegeben.

Ein Ticket kostet 49 Euro, für „Abendblatt“-Abonnenten 45 Euro. Bestellt werden können die Karten online (siehe Adresse).

Der Vortrag läuft innerhalb der Reihe „Weiterkommen“, die das „Abendblatt“ mit dem Institut für Weiterbildung der Universität Hamburg anbietet. Unterstützt wird die Reihe durch DAK Gesundheit, Decatus – Die Mittelstandsakademie, Futterhaus-Akademie und dem Hotel Scandic Hamburg Emporio.

www.weiterkommen-hamburg.de