Berlin. Zehn Millionen Deutsche gehen in eines von 8600 Studios. Der Markt ist noch lange nicht gesättigt – und bedient fast jeden Geschmack.

Die rote Wurzel mit dem geschnitzten Gesicht, die an der Wand hängt, hat eine lange Geschichte: Sie stammt aus dem Stall eines Wasserbüffels in Indonesien. Davor laufen muskulöse Menschen mit Handtuch über der Schulter vorbei – oder stellen sich direkt gegenüber auf eines von 20 Laufbändern. Bei John Reed in Berlin sind solche Gegensätze gewollt. Altes und Neues, Kitsch und Hochkultur, Schrilles und betont Zurückhaltendes.

Man kann auch sagen: Die Erfinder dieser neuen Marke, die Teil von Deutschlands Marktführer der Fitnessstudios McFit ist, haben alle Register gezogen, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Derzeit gibt es in Europa 14 Studios, unter anderem in Bonn, Berlin, Hamburg und Düsseldorf, demnächst folgen Leipzig, Dresden und Erfurt.

Training wie im eigenen Wohnzimmer

„Das Konzept ist, dass sich unsere Kunden auch im Studio zu Hause fühlen sollen“, sagt Marcus Adam, der für Musik und Marketing bei den Studios zuständig ist. Das Design soll gerade die ansprechen, die sich bisher noch nicht in ein Studio getraut haben. Zielgruppe seien „lifestyle-orientierte, fitness-, musikaffine und trendbewusste“ Menschen. Adam: „Fitness ist das neue Feiern“, sagt er, „deshalb verbinden unsere Studios die Club-Atmosphäre mit der eines Kraftraums.“ Wer durch die bunten Gänge läuft, die fast permanent mit treibender Elektromusik beschallt werden, kann daran nicht zweifeln.

Darum ist athletisch das neue Dünn

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    Waren sich früher die meisten Studios sehr ähnlich, wird inzwischen fast jede Nische besetzt. Kaum ein anderer Markt entwickelt sich so schnell und vielfältig wie der für Fitnessstudios. Lag der Umsatz in der Branche 2010 noch bei 3,8 Milliarden Euro, waren es im vergangenen Jahr 5,1 Milliarden Euro. Die Zahl der Menschen, die regelmäßig in ein Studio gehen, ist in dem gleichen Zeitraum um drei Millionen auf rund 10,1 Millionen gestiegen. Sie werden demnach im Schnitt kleiner. Das berichtet eine Studie von Deloitte und dem Arbeitgeberverband deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen (DSSV). Demnach gibt es derzeit rund 8600 Fitnessstudios in Deutschland.

    Die kleinen Anbieter sind beliebter als die großen Ketten

    Den größeren Teil am Gesamtumsatz haben also nicht die großen Ketten wie McFit, FitX, Fitness First oder Clever Fit. Eine mit 56 Prozent knappe Mehrheit der Deutschen geht in kleine Studios, die dann immerhin so schöne Namen haben wie „Sturmflut“ in Rostock, „Kraftmühle“ in Würzburg oder die „Black Warriors“ im hessischen Ober-Mörlen.

    „Der Vorteil der großen Ketten liegt häufig eindeutig im Preis und in der Breite des Angebots“, sagt Dustin Tusch, Sprecher des DSSV, der rund ein Drittel der Studios vertritt. „Sie können schnell auf neue Trends reagieren und sogar neue versuchen zu setzen.“ Doch dafür wird in der Regel am Personal gespart. Die großen Discounter sind also die einen Wachstumstreiber in der Branche, sagt Tusch, die anderen sind die Mikro-Studios. „In kleineren Studios ist die Atmosphäre häufig familiärer, man wird mit dem Vornamen begrüßt und die Trainer können die Übungen besser überwachen.“ Gerade bei riskanten Übungen wie „Functional Training“ sei das sehr wichtig, um sich nicht falsche Körperhaltungen anzugewöhnen.

    Bei John Reed merkt man die Einsparungen an den Kursen. In den separaten Räumen laufen Videos, in denen die jeweiligen Übungen erklärt werden, ohne jemanden, der nachbessert. Der Vorteil der Kette: Sie kann kostengünstig ständig neue Videos für alle 14 Studios produzieren und so auch neue Übungen oder Kurse anbieten, für die andere erst Trainer schulen müssen. Einige Trainer sind dennoch vor Ort.

    Smartphone-Apps wollen die Studios ersetzen

    Dafür setzt sich die Kette in anderer Hinsicht ab. Die Musik bei John Reed ist lauter als in anderen Studios, vor allem, wenn montags und freitags DJs auflegen, aber auch da, sagt Marcus Adam, haben sie sich im Zweifel nach einer anfänglichen Testphase nach den Kunden gerichtet und morgens etwas leiser gedreht. „Wenn man eigentlich keine Lust hat“, sagt Adam, „kann einen die Lieblingsmusik dazu bringen, das Letzte aus sich rauszuholen.“ Wenn einer mal einen Song mitsingt oder im Takt wippt, hat Adam das Gefühl, etwas richtig gemacht zu haben.

    Spirituelle, asketische Muskelfans, Familien, Saunagänger, Frauen, die unter sich bleiben wollen, und eben Club-Gänger – in großen Städten findet fast jeder ein Plätzchen. Selbst Nischenstudios wie das Training mit Elektro-Unterstützung (EMS) konnten sich inzwischen etablieren, sagt Dustin Tusch vom Verband. „Ganz neu“, ergänzt er, „ist der Trend, ein kleines häufig sehr dunkles Studio mit vielleicht 35 Fahrradtrainern aufzubauen.“ Dieses minimalistische Prinzip der sogenannten Cycling-Studios lässt nur eine Trainingsform zu: das Spinning. Die Trainer sind aber dafür speziell ausgebildet. Ein einzelner Kurs kann dann schon einmal 23 Euro kosten.

    In Schweden gehen fast doppelt so viele trainieren

    Wer lieber ganz ohne Vertrag trainiert, kann sich Apps für das Smartphone herunterladen und die Übungen allein im Park durchführen. Einer der erfolgreichsten App-Anbieter in Deutschland ist „Freeletics“. In vier Jahren haben sie es auf weltweit 20 Millionen Nutzer geschafft. Das Konzept kommt ohne Trainer aus – der wird durch eine Software ersetzt. Dieser „virtuelle Coach“ lernt durch die Nutzung und schneidet das Trainingsprogramm immer genauer zu. Trotzdem, so die Firmensprecherin Ellie Hughes, treffen sich einige der Trainierenden in Großstädten zu gemeinsamen „Workouts“.

    Es herrscht Goldgräberstimmung in dieser Branche, zumindest bei allen, die ein gut durchdachtes Konzept mitbringen. Der Markt hat noch viel Luft nach oben: In Deutschland gehen derzeit rund 12,5 Prozent der Menschen in Sportstudios. In den Niederlanden sind es fast 17 Prozent, in Norwegen 19 Prozent – und in Schweden gar 21 Prozent.

    Immer mehr Menschen werden sich also vermutlich auch hier an Geräten und in Studios „quälen“ – wie das Training zumindest gern von außerhalb eingestuft wird. Passend dazu hängt bei John Reed ein Sado-Maso-Geschirr auf dem Weg zum Hanteltisch an der Wand: Peitsche, Fessel und Knebel. Das sei nun wirklich als Scherz gemeint, sagt Marcus Adam. Anders als bei der großen, roten Wurzel will er aber trotzdem nicht verraten, wo es herkommt.