Hamburg. Ein Apartment auf St. Pauli zeigt, wie es sich auf wenig Fläche gut leben lässt. Dafür wurde Altes aufgemöbelt und Neues entworfen.

Susann Witte zählt seit Kurzem zu den Bewohnern des Nuttenbunkers. Eine gewagte Aussage. Sie stimmt auch nur bedingt. Denn eigentlich lebt die 54-Jährige mit ihrem Mann in einem schönen alten reetgedeckten Haus im Alten Land. Und inwieweit das Rotlichtmilieu im mittlerweile vom Asbest befreiten und sanierten Margot-Niebuhr-Hoch­haus an der Reeperbahn 157 noch eine Rolle spielt, lässt sich nicht feststellen.

Es war jedenfalls nur eine Frage der Zeit, bis sich Investoren für das einzige Wohnhochhaus auf St. Pauli interessieren würden. Sehr zum Unwillen der Bewohner und Anwohner, die eine Gentrifizierung im Stadtteil fürchten. Doch die Sanierung der 150 Apartments auf 17 Etagen konnten sie nicht stoppen. Susann Witte und ihr Mann Traugott Friedrich Gilhaus haben davon profitiert: Sie kauften eines der Apartments mit 42 Quadratmeter Fläche; im zwölften Stock und für etwa 4700 Euro/m2.

Auf wenig Fläche intelligente Lösungen zeigen

„Als ich damals das Inserat für dieses Apartment sah, habe ich sofort gedacht: Das wäre doch eine Chance, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen“, erzählt die gelernte Kommunikationswirtin während eines Treffens im Apartment. Ihr Mann – er ist Tischler und arbeitet für Designer wie Thai Cong, Conni Kotte und Julia Korzilius – könne hier zeigen, wie man auf wenig Raum intelligente und anspruchsvolle Lösungen fürs Leben und Arbeiten unterbringt. „Und wir selbst könnten ab und zu das Leben auf dem Land gegen das in der Stadt eintauschen“, erzählt Susann Witte. Zumal die beiden Kinder ausgezogen seien.

Um es vorwegzunehmen: Es blieb bislang bei nur wenigen Malen. Beispielsweise im Herbst, als sie das Filmfest besuchten, oder aktuell, „um die Ausblicke auf den Hamburger Dom und das teils hektisch blinkende Lichtermeer auf dem St. Pauli-Weihnachtsmarkt zu bewundern“. Susann Witte und ihr Mann haben nämlich festgestellt: Auf dem Land schläft es sich besser. Zugleich wissen sie auch: „Man verpasst eigentlich ständig etwas, wenn man nicht in der Wohnung ist!“

Keine Berührungsängste mit Bewohnern

Berührungsängste mit den Bewohnern im Haus gibt es nicht. „Diejenigen, die ich bislang zufällig traf, waren alle sehr freundlich.“ Sie kann nicht einschätzen, inwieweit das Rotlichtmilieu heute noch ein Zuhause an der Reeperbahn 157 findet. Dafür geht es zu anonym zu in diesem 1971 gebauten Gebäude, das zeitweilig auch Todes-Turm genannt wurde – weil es so magisch auf viele Lebensmüde wirkte.

Das alles vergisst man, sobald man das Vorzeigestudio des Paares im zwölften Stock betritt. Geschickt wurde bei dem Neuzuschnitt der 42 Quadratmeter darauf geachtet, dass sich von allen Räumen der Blick auf Hamburg ergibt – und jeder Raum seine eigene Note erhält. So ist die kleine maßgefertigte Küche zwar dunkel gehalten – die mit Tafelfarbe gestrichene Wand erhielt jedoch drei bullaugenförmige Auslassungen, sodass dieser Raum nicht beengt, sondern sogar gut belichtet wirkt. Überdies geben die runden Auslassungen – zum Schlafzimmer hin mit Licht inszeniert – dem Apartment einen maritimen Touch.

Der Tresentisch dient zugleich als Gästebuch

Gezielt wird im kleinen Bad auf die Nähe zur Reeperbahn hingewiesen: Alles ist in Rot und Schwarz gehalten. Edel und verrucht zugleich wirkt das. Auch ein anderes Thema wird in der Wohnung aufgenommen: Viele „alte“ Möbel sind dort zu sehen. Sie wurden jedoch geschickt aufgewertet. „Upcycling“ nennt man das.

Die Platte für den Tresentisch ist beispielsweise aus Holz für den Gerüstbau gefertigt. Clou dabei: Das Möbel firmiert zugleich als „Gästebuch“, denn Besucher können sich hier mit einer Gravur verewigen. Die Platte des Wohnzimmertisches wiederum wurde mit altem, karierten Vorhangstoff versehen und anschließend so behandelt, dass er abwischbar ist.

Altes neu modelliert

In einem anderen Fall wurde die Vitrine eines Kunden, die entsorgt werden sollte, einfach neu modelliert. „Die bogenförmigen Füße des Möbels stützen nun die Sitzbank vor dem Tisch im Apartment und die Vitrine selbst erhielt ein neues Untergestell aus Nussbaum. Sie passt nun hervorragend in die MidCentury-Retro-Möblierung der Wohnung“, freut sich Susann Witte.

Auch Eigenentwürfe sind in der kleinen Wohnung zu sehen: Der Fernseher im Schlafzimmer steht beispielsweise auf einer Art Krähenfuß aus Ebenholz. „Wir entwerfen gerade für Nachttischlampen ähnliche Füße“, verrät Susann Witte. Passgenau gefertigt ist auch die Verkleidung der Heizung: Sie spiegelt das Muster der Tapete wieder. „Es wurde vorher mit Zeichenprogramm aufgenommen und dann mithilfe von CNC-Technik herausgefräst, von Hand nachgeschliffen und dann lackiert“, erläutert die 54-Jährige. Wie wertvoll Maßfertigungen in kleinen Räumen sind, zeigt sich besonders im Schlafzimmer, wo Friedrich Gilhaus einen Schrank mit bequemer Sitz- und Liegefläche vor dem langgestreckten Panoramafenster gebaut hat.

Das Apartment kann besichtigt werden. Terminabsprache unter www.tischlerei-gilhaus.de