Architekt Stefan Grattolf baut liebevoll den in den 1960er-Jahren errichteten Kirchenbau für sich und seine Freundin um. Ihnen stehen dann 280 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. Für Küche und Arbeitsbereich plant er einen Kubus im Raum.

Hamburg. Ganz kurz stand die Frage im Raum, ob die Kirche in der wenig befahrenen Seitenstraße in Wilhelmsburg abgerissen werden soll. Ein Bauträger wollte auf dem Grundstück anschließend Reihenhäuser errichten. Auch ein Kindergarten meldete zeitweise Interesse an. Zum Schluss aber blieb Stefan Grattolf als einziger Kaufinteressent übrig. Der 43-jährige Architekt, aufgewachsen im Stadtteil, überraschte die zuständige Behörde und den Gemeindevorstand mit der Idee, die einstige neuapostolische Kirche für Wohnzwecke umzubauen.

Die Idee entwickelte sofort ihren eigenen Charme – auch bei den direkten Nachbarn, die von den Umbaumaßnahmen in dem sakralen Bau seither nur wenig mitbekommen. Denn die Außenhaut bleibt bei der Mitte der 1960er-Jahre errichteten Kirche bzw. dem Gemeindehaus weitgehend unangetastet.

„Seit meinem Studium der Architektur war ich auf der Suche nach einer Immobilie, die mich vor besondere Herausforderungen stellt“, erzählt der freischaffende Architekt, der in den vergangenen Jahren viele größere Sanierungsvorhaben in der Hamburger Innenstadt – viele davon mit Bezug zum Denkmalschutz – begleitet hat.

Unter Zeitdruck will er sich bei diesem Projekt, das er zu eigenen Zwecken umbaut und für das der Startschuss mit der Unterzeichnung des Kaufvertrages vor genau einem Jahr – kurz vor dem Weihnachtsfest 2013 – fiel, nicht setzen. Auch wenn er mit seiner Freundin zurzeit auf 64 Quadratmetern zur Miete in der Hamburger Altstadt wohnt. „Uns beiden macht es Freude, in diesem Gebäude zu werkeln und Ideen für unsere gemeinsame Zukunft zu entwickeln.“

Die nahezu kindliche Freude, „seinen eigenen Stefansdom“, wie Freunde scherzhaft manchmal das Projekt nennen, in aller Sorgfalt zu entwickeln, kann er dabei nicht verhehlen. „Manchmal haben wir nur ein paar Stunden Zeit in der Woche, manchmal das ganze Wochenende.“ Ein kleiner runder Gartentisch mit dazu passenden Stühlen dient beiden dann als Platz für Kaffeepausen zwischendurch.

Für die richtige Beleuchtung ist auch schon gesorgt


Gleichwohl lässt sich jetzt schon erahnen, wie sich das Wohnen auf der Fläche – insgesamt sind es 280 Quadratmeter – abspielen wird: Den Mittelpunkt bildet nach wie vor der gut 157 Quadratmeter große Saal mit einer Höhe in der Spitze von 9,50 Metern. An seinem hinteren Ende, dort, wo einst der Altar auf einem Podest gestanden hat, ist noch in Umrissen das Kreuz an der Wand zu erahnen. „Hier werden wir einen Kamin bauen und das Wohnzimmer errichten“, verrät der Architekt. Auch weil die Decke wegen des Podests hier nicht so hoch ist.

Für die richtige Beleuchtung ist auch schon gesorgt: Die von der holzgetäfelten Decke wie Ballons herabhängenden Kirchenlampen bestückte Grattolf in Eigenarbeit mit neuen Fassungen, sodass sie jetzt gedimmt werden können und für LED-Leuchten geeignet sind. Ansonsten braucht es noch ein wenig Fantasie, um sich alles Weitere vorzustellen. Aber Grattolf kann als Architekt seine Vorstellungen ja anhand von Visualisierungen darstellen. Die zeigen einen freistehenden Kubus, der im gut 157 Quadratmeter großen „Saal“ Platz für eine Küche vorsieht und auf der Etage darüber einen Arbeitsbereich. Die Treppe dorthin will er versteckt hinter dem Kubus planen.

Auch sollen noch zwei größere Fenster in das trapezförmige Dach eingebaut werden, um diesen Bereich zusätzlich zu beleuchten. „Ansonsten wird man von hier aus direkten Blick auf die schönen Kirchenfenster haben.“ Man merkt dem Architekten den Respekt im Umgang mit dem baulichen Erbe an. Nicht nur hat er ein Fotoalbum, in dem der Bau der Kirche und erste schöne Feiern der Gemeinde festgehalten wurden, neu einscannen und binden lassen. Nachhaltig ist auch sein Umgang mit den Materialien, die er im Querriegel des Sakralbaus vorfand.

Die Garderoben und Stuhlbänke, die hier früher standen, sollen auch nach dem Umbau dort wieder zum Einsatz kommen. „Möglicherweise lassen wir die Stühle noch polstern“, sagt der Bauherr. Zwischengelagert werden sie jetzt erst einmal auf dem Podest im künftigen „Kaminzimmer“. Gemeindevorsteher Manfred Frömming „freut dies alles ungemein“. Der 62-Jährige hat sich unlängst selbst einen Eindruck von den Umbaumaßnahmen verschafft.

Im früheren Gemeindesaal wird eine Fußbodenheizung verlegt


13 Jahre lang hat er hier zusammen mit der gut 50-köpfigen Gemeinde Gottesdienste gefeiert. 2012 fiel dann die Entscheidung, sich mit der Gemeinde in Harburg zusammenzutun – „weil dies für die Zukunft Sinn macht“, sagt Frömming. Seitdem war die weitere Nutzung des Sakralbaus ungewiss.

Nunmehr ist klar: Die Sakristei, die Frömming lange Zeit als Raum diente, um sich auf Gottesdienste vorzubereiten, wird schon bald als Gäste- oder späteres Kinderzimmer dienen. Schon jetzt erkennbar ist das Bad en suite, das diesen Bereich ebenso komplettieren soll wie im gegenüberliegenden Flügel, wo bereits mit Leichtbauwänden das Schlafzimmer der Bauherren mit Ankleide in Ansätzen zu sehen ist. In beiden Flügeln sollen Holzdielen für wohnliches Ambiente in den Räumen sorgen. Nicht antasten will Grattolf indessen die großen hellen Fliesen, die seit der Sanierung der Kirche im Jahr 1994 im Entree zu sehen sind. Sie werden während der Ausbauarbeiten durch Platten und Decken geschützt.

Im früheren Gemeindesaal selbst wird eine Fußbodenheizung verlegt, darüber ein Boden in Betonoptik. „Vielleicht lassen wir ihn leicht weiß einschlemmen“, sagt der Bauherr. Das kontrastiere gut zu den neu eingebrachten Fenstern mit der dunklen Aluminiumrahmung. Sie nehmen die Form des Daches auf und öffnen den Raum zum Garten hin, der hier irgendwann mal mit Obstbäumen und viel Grün entstehen soll. Noch ist hier allerdings nur der mit Betonsteinen gepflasterte Parkplatz zu sehen.

Die Wände mit ihrer leicht groben Struktur will Grattolf innen so belassen und nur neu überstreichen. „Ich kann mir gut vorstellen, dass sie Einfluss haben auf die Akustik des Raumes und den Halleffekt ein wenig abmildern.“ Ein wichtiges Detail, denn auch wenn vieles noch offen ist: „Wir werden den 157 m2 großen Wohnbereich wohl eher modern und minimalistisch möblieren“, verrät der Bauherr. Eines steht für ihn und seine Freundin aber schon fest: Auch dieses Weihnachten wird eine kleine Tanne den früheren Gemeindesaal mit vielen Lichtern und bunten Kugeln zieren.