Die Osteopathie gilt als sanfte Medizin und kann bei Migräne, Tinnitus oder gestörten Bewegungsabläufen helfen

Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte der amerikanische Arzt Andrew Taylor Still die Prinzipien der Osteopathie und begründete damit eine neue sanfte Medizin, die sich seither kontinuierlich weiterentwickelt hat. Die Osteopathie ist eine die Schulmedizin ergänzende, eigenständige Form der Medizin, der viele Patienten vertrauen. Krankheit wird in der Osteopathie als Zeichen einer Störung oder Einschränkung der Funktions- und Bewegungsabläufe im Körper verstanden.

Ziel der osteopathischen Behandlung ist es, mögliche Störungen zu finden, Blockaden zu lösen und die Selbstheilungskräfte des Körpers zu mobilisieren. „Die Osteopathie nimmt jeden Patienten als Individuum wahr und behandelt ihn seiner Gesamtheit“, sagt Prof. Marina Fuhrmann, Vorsitzende des Verbandes der Osteopathen Deutschland (VOD).

Wie arbeiten Osteopathen?

Osteopathen nutzen also ausschließlich ihre Hände, um die Ursachen von Beschwerden aufzuspüren und zu behandeln. Der Diagnose und Therapie geht immer eine ausführliche Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese) voraus. In einigen Fällen lassen sich Osteopathen auch Befunde aus der klinischen Diagnostik wie Röntgenbilder oder Laborwerte vom Patienten zeigen. Im Rahmen der Untersuchung ertastet der Osteopath das menschliche Gewebe Schicht für Schicht. So spürt er Bewegungseinschränkungen und Spannungen auf, die er dann mit speziellen, zumeist sehr sanften Techniken behandelt. Eine osteopathische Behandlung dauert durchschnittlich 50 Minuten. Der Körper kann etwa zwei bis drei Wochen lang darauf reagieren, sodass eine erneute Behandlung meist erst nach dieser Zeit sinnvoll ist. „Nach viermaliger osteopathischer Behandlung sollte eine deutliche Besserung der Beschwerden erzielt worden sein. Danach wird eine Neubewertung durchgeführt und entschieden, ob das aktuelle Symptombild eine Fortdauer der osteopathischen Behandlung notwendig macht und sinnvoll erscheinen lässt. Der genaue Verlauf und die Dauer der Behandlung sind immer vom Einzelfall abhängig“, erläutert Fuhrmann.

Bei welchen Beschwerden kann die Osteopathie helfen?

In der Praxis hat sich die Osteopathie bei einer Vielzahl von Beschwerden und Krankheiten bewährt, wo nicht allein, zumindest begleitend. Hierzu zählen im Bereich des Bewegungsapparates Gelenkprobleme und Beschwerden wie Hexenschuss, Ischias, Schleudertrauma oder Verstauchungen (parietale Osteopathie). Im internistischen Bereich (viszerale Osteopathie) können Osteopathen zum Beispiel bei Verdauungsstörungen, Operationsfolgen wie Narben und Verwachsungen oder bei funktionellen Herzbeschwerden weiterhelfen. In der kraniosakralen Osteopathie behandeln Osteopathen Patienten mit Kopfschmerzen, Migräne, Schwindel, Tinnitus, Nasennebenhöhlen- und Mandelentzündung oder chronischer Mittelohrentzündung. Und schließlich können Osteopathen auch bei Menstruationsbeschwerden, Geburtsvorbereitung und -nachsorge, bei klimakterischen Beschwerden oder Infertilität zurate gezogen werden.

Werden auch Kinder behandelt?

„Ja, Kinder werden sogar sehr häufig behandelt, und zwar von Geburt an“, sagt Jakob Setzwein, Geschäftsführer des Bundesverbands Osteopathie (bvo). „Liegen eine Kopfschiefhaltung oder eine Schädelasymmetrie vor oder tauchen Saugprobleme beim Stillen oder Drei-Monats-Koliken auf, kann eine Behandlung durch den Osteopathen viel bringen und Linderung verschaffen. Auch Schreibabys sind beim Osteopathen in guten Händen.“

Mit welchen Beschwerden konsultieren Patienten einen Osteopathen?

„Am häufigsten kommen Patienten mit Schmerzen, vor allem im Rückenbereich“, weiß Jakob Setzwein – und verweist auf eine aktuelle Studie aus den USA von Dr. John Licciardone zur Wirksamkeit der Osteopathie bei der Behandlung chronischer Kreuzschmerzen. Im Rahmen der Studie wurden 455 chronische Kreuzschmerzpatienten mit Osteopathie tatsächlich oder nur zum Schein behandelt. Zwölf Wochen nach der ersten Behandlung war die Schmerzintensität in der osteopathisch behandelten Gruppe signifikant geringer als in der Vergleichsgruppe. Auch war diese Gruppe mit der Behandlung sehr zufrieden. Das zeigte sich unter anderem darin, dass die Probanden ihren Bedarf an Schmerzmitteln verringern konnten. Laut Setzwein sind auch Migräne oder Regulationsstörungen wie etwa Verdauungsprobleme ein häufiger Grund, um einen Osteopathen aufzusuchen.

Wo liegen die Grenzen der Osteopathie?

Sie liegen dort, wo die Selbstheilungskräfte den Körper nicht mehr gesunden lassen. Schwere und akute Erkrankungen, Brüche, Verletzungen oder Wunden müssen erst einmal schulmedizinisch behandelt werden. Seelische Erkrankungen oder bakteriell bedingte Entzündungen gehören ebenfalls nicht in die Hand eines Osteopathen. Wenn sich Fremdkörper im Organismus befinden – etwa eine Spirale bei der Frau oder Ablagerungen wie Nieren- und Gallensteine –, könnte die manuelle Behandlung Schmerzen verursachen oder auch zu inneren Verletzungen führen. Um das zu vermeiden, ist eine ausführliche Anamnese unbedingt notwendig.

Was hoch sind die Kosten?

Die Osteopathie ist im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen meistens nicht enthalten. Private Kassen übernehmen die Behandlungskosten teilweise. Es ist also ratsam, vor Beginn einer Behandlung Kontakt zur Krankenkasse aufzunehmen, um eine Kostenübernahme abzuklären. Die Gebühren für eine Behandlung mit ausführlicher Anamnese liegen zwischen 60 und 100 Euro.

Wie finde ich einen Osteopathen?

Da die Osteopathie als Medizin gilt, darf sie in Deutschland nur von Ärzten oder Heilpraktikern vollumfänglich ausgeübt werden. Wer weder Arzt noch Heilpraktiker ist, darf nur im sogenannten Delegationsverfahren, also auf Anweisung eines Arztes oder Heilpraktikers, osteopathisch arbeiten. In Deutschland ist bislang weder der Beruf des Osteopathen geschützt noch die Ausbildung staatlich geregelt.

Informationen und Listen von Osteopathen: Verband der Osteopathen Deutschland (VOD), www.osteopathie.de; Bundesverband Osteopathie (bvo), www.bv-osteopathie.de; Verband freier Osteopathen (VFO), www.vfo.de; Verband wissenschaftlicher OsteopathenDeutschlands (VWOD), www.vwod.de