Resiliente Menschen nehmen in einer Lebenskrise Hilfe an

Manche Menschen lassen sich von kleinen Rückschlägen aus der Bahn werfen. Andere überstehen große Krisen scheinbar mühelos. Psychologen vergleichen das Phänomen der Resilienz mit einem Stehaufmännchen. Seelisch wieder aufzustehen, kann man trainieren.

„Resilienz ist die innere Widerstandskraft“, erklärt die Hamburger Diplompsychologin Lilo Endriss. Menschen mit hoher Resilienz besitzen die Fähigkeit, sich sogar von schweren Schicksalsschlägen nicht völlig aus der Lebensbahn werfen zu lassen. Weshalb einige besser mit Schicksalsschlägen umgehen können als andere, hängt laut Endriss mit den drei Schutzfaktoren Individualität, Familie und Umfeld zusammen, die bei einigen Menschen stärker ausgeprägt seien, bei anderen schwächer. Entdeckt habe die Faktoren die US-amerikanische Forscherin Emmi Werner. Sie untersuchte in den 50er-Jahren 700 Kinder einer Gemeinde auf Hawaii. Die Kinder wuchsen in schwierigen Lebensverhältnissen auf. Einige von ihnen waren später beruflich erfolgreich und gründeten Familien, andere brachen die Schule ab und wurden straffällig.

Der Schutzfaktor des Individuums ist die Gabe, stolz auf sich zu sein. Selbstwirksamkeitsüberzeugung nennt Karl-Günther Theobald von der Opferschutzorganisation Weißer Ring diese Gabe. Sie sei das Gegenteil von Schicksalsgläubigkeit, erklärt der Psychotherapeut. Menschen, bei denen dieser Faktor stark ausgeprägt ist, haben das gute Gefühl, Situationen durch ihr Handeln positiv beeinflussen zu können.

Der Schutzfaktor der Familie: Der Mensch brauche eine Bezugsperson, stellt Endriss klar. Resiliente Kinder, die von ihren Eltern vernachlässigt wurden, suchten sich oft Ersatzeltern, etwa die Großeltern, Geschwister oder Nachbarn. Auch Religiosität könne diesen Schutzfaktor bilden, sagt Endriss. Zum Schutzfaktor des Umfelds zählen Menschen außerhalb der Familie, auf die man sich verlassen kann, etwa der beste Freund oder ein guter Lehrer.

Das Ergebnis von Forschungen ergab eine Art Ranking des Leidens: Folter und ein Aufenthalt im Konzentrationslager stehen oben. 70 bis 75 Prozent der Betroffenen bilden laut Theobald ein Trauma aus, das psychotherapeutisch behandelt werden muss. Nach einer Vergewaltigung erkranke rund die Hälfte der Betroffenen. Am unteren Ende der Skala sei etwa ein Wohnungseinbruch, der rund zehn Prozent der Opfer traumatisiere. Der Tod eines Angehörigen lasse sich nur schwer in dieses Ranking einordnen. „Das hängt stark davon ab, wer stirbt“, sagt Theobald.

Resilienz sei lernbar, versichern die Experten. Wichtig ist die Einstellung, die der Betroffene zu seinem Leid hat. „Seit Jahrtausenden müssen Menschen Krisen bewältigen“, sagt Endriss. „Es wäre blauäugig, davon auszugehen, man bleibe verschont.“

Diese Sicht mache es leichter, seine eigene Situation realistisch zu beurteilen. „Resiliente Menschen haben die Fähigkeit, sich zu distanzieren, sich nicht überwältigen zu lassen“, sagt Endriss. Sie stellen sich wie ein Unbeteiligter gedanklich neben sich, schauen sich die Lage an und handeln anschließend. „Distanz und Humor haben übrigens Verwandtschaften“, sagt die Psychologin. „Humor kann man nur aus der Distanz entwickeln.“ In einem Ausnahmezustand helfe er, nicht die Fassung zu verlieren.

Resiliente Menschen nehmen in einer Krise Hilfe an. Nicht resiliente Menschen zerbrechen laut Endriss oft an ihrer Trauer, weil sie sich allein fühlen. „Weil sie denken: Das muss ich doch alleine wuppen können.“ Ganz alleine kämen nur die Wenigsten aus einer Krise heraus. Ein Fehler sei es auch, die Situation nicht zu akzeptieren. „Man muss akzeptieren, was nicht zu ändern ist. Das ist bitter, es befreit aber.“

Ebenso lasse sich das Wissen um die eigene Selbstwirksamkeit trainieren, sagt Theobald. Manchmal helfe schon ein Selbstverteidigungskurs. Dabei erfahre der Teilnehmer, dass er einem kräftigeren Menschen nicht hilflos ausgeliefert sein muss.