Für Neubauprojekte muss Altes weichen. Nicht immer zum Nachteil der Anwohner, wie Projekte in St. Georg, Wandsbek und auf St. Pauli zeigen. Vielfach entstehen auf ehemals gewerblichen Flächen auch Orte, die begrünt werden und wo Menschen sich treffen und austauschen

Wer von Verdichtung hört, denkt zunächst oft in negativen Bildern. An Flächen, die zubetoniert, und Menschen, die aus ihren Wohnungen verdrängt werden. An Idylle und mehr Grün denken wohl die wenigsten bei diesem Begriff. Dass dies aber möglich ist, zeigt eine Planung für einen Neubaukomplex am Pulverteich 27 in St.Georg. Dort wurden nicht nur 16 Mietwohnungen neu errichtet und 15 Einheiten in einem Bestandsbau saniert. Es entstand auch ein Innenhof, in dem Kinder ungestört von Verkehr und Lärm spielen können und auf den die Anwohner jetzt von ihren Balkonen schauen können. Autos stören die Idylle hier nicht mehr: Sie entschwinden in einer parallel zum Neubau errichteten Tiefgarage unter dem Innenhof.

Verdichtung bedeutete in diesem Fall also mehr Grün und mehr Lebensqualität – und dies mitten in St. Georg. Um wie viel mehr sich die Situation zum Vorteil für die Anwohner verändert hat, können Thomas Neufert und sein Partner Thomas Köhler bestätigen. Die beiden Männer bewohnen seit 21 Jahren gemeinsam eine Industrieetage im Hochparterre – vis-à-vis dem Neubau am Pulverteich 27. Bis zu dessen Errichtung schauten sie statt auf den begrünten Innenhof auf die Rückwand eines Gebäudes, in dem sich ein in Hamburg bekanntes Bordell befand.

„Diese Wand war gerade einmal drei Meter von unserer Fensterfront entfernt“, erinnert sich Thomas Neufert. Unglaublich sei das Gefühl gewesen, als der Bagger Stück für Stück im Oktober 2011 damit begann, die Wand einzureißen. „Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir keine Ahnung, wie die Räumlichkeiten hinter dieser Wand aussahen. Sie war ja massiv, ohne ein Fenster oder eine Tür.“ Tag für Tag, Meter für Meter bekamen sie dann mehr von den Räumlichkeiten des Nachtclubs zu sehen – von den Einrichtungen im Souterrain, wo sich Erzählungen zufolge so manch Hamburger Prominenter in Whirlpools vergnügt haben soll.

Jede Phase des Abbruchs hat der 48-Jährige mit seiner Kamera dokumentiert. „Über Monate haben sich die Abbrucharbeiten und die anschließenden Maßnahmen zur Errichtung der Tiefgarage hingezogen.“ Unglaublich sei der Lärm, nervig der Schmutz gewesen, der mit den Abrissarbeiten einherging. Und dennoch: Hört man Thomas Neufert zu und schaut sich mit ihm die unzähligen Fotos an, die er akkurat nach Datum sortiert auf seinem PC hinterlegt hat, so bekommt man das Gefühl: Hier erinnert sich einer an eine aufregende, spannende Zeit – und nicht an eine Maßnahme, verbunden mit viel Schmutz und Lärm.

„In der Tat haben mein Partner und ich uns über jeden Fortschritt gefreut und fast täglich mit Spannung beobachtet, wie sich durch die Abbrucharbeiten die Lichtverhältnisse in unserer Wohnung zum Besseren verändert haben“, sagt Neufert. So richtig dunkel sei es zwar in der Wohnung nie gewesen. „Aber auch nicht wirklich hell, der Lichteinfall war halt immer begrenzt.“

Heute können die beiden Männer unbegrenzt gen Himmel schauen und dort das Wolkenspiel beobachten. Und im Sommer genießen sie die vielen Stunden auf ihrer schönen holzbeplankten Terrasse, auf der sie nicht nur Tomaten in Töpfen züchten, sondern die sie mittlerweile zu einer kleinen blühenden Oase verwandelt haben. „Unser Leben hat sich sehr zum Vorteil verändert. Allein auch wegen der vielen schönen Abende, die wir mit Freunden im Freien und mit Grillen verbringen können“, sagt der Touristik-Manager.

Stefan Westner, Geschäftsführer der Völckers & Cie Immobilien GmbH, freut sich, dass es ihm und seiner Firma gelungen ist, das Projekt im Einklang mit den Anwohnern zu errichten. Der Start im Jahr 2010 sei nicht einfach gewesen, erinnert er sich. „Vorausgegangen war eine intensive Planungs- und Genehmigungsphase, um die Auflagen aus dem Bebauungsplan und der Sanierungssatzung abzustimmen und zu berücksichtigen.“ Mittlerweile habe die Firma viel positives Feedback von den Nachbarn erhalten, „weil wir etwas für die Mikrolage getan haben“. Westner, nicht ohne Pathos: „Ich bin ein bisschen stolz, ein kleines Stück meines geliebten Hamburg mitgestalten zu dürfen.“

Zu den Investoren, die brachliegende Flächen in Hamburg für Menschen nutzbar machen, gehört auch die wph Wohnbau. Sie realisiert derzeit das Projekt „Wandsbeker Höfe“ zusammen mit der Otto Wulff Bauunternehmung auf einem Gelände, wo früher ein Polizeikommissariat seinen Sitz hatte. Jetzt entstehen hier 46 Eigentumswohnungen um einen alten Baum herum. wph-Geschäftsführer Ole Klünder: „Die 25 Meter hohe Blutbuche bildet sozusagen den Mittelpunkt eines verkehrsberuhigten Innenhofs, auf dem Kinder spielen können.“

Im neuen Quartier sollen bald auch kreative Köpfe arbeiten können

Noch ein Beispiel: Auf St. Pauli beginnen jetzt die Arbeiten für die „Sternenhöfe“ mit 32 Eigentumswohnungen und 17 Wohn- und Gewerbelofts. Sie sollen in einem geschützten Innenhof zwischen Neuer Pferdemarkt und Sternstraße bis Herbst 2015 entstehen. Dazu Udo Schwarzburg von der Sparkasse Holstein, die das Projekt umsetzt und den Vertrieb der Wohnungen verantwortet: „Gut 50 Jahre wurde die Fläche hauptsächlich von kleineren gewerblichen Betrieben genutzt. Uns und dem Alt-Eigentümer des Grundstücks war es wichtig, dass wir auch weiterhin auf dieser Fläche die Ansiedlung von kreativen Köpfen und handwerklichem Gewerbe ermöglichen.“

Deswegen werden im Quartier auch Lofts entwickelt, die für Wohnen und Arbeiten gleichsam genutzt werden können. Im Durchschnitt werden die Einheiten zu Quadratmeterpreisen zwischen 4500 und 4900 Euro angeboten. „Bei einer Anwohnerversammlung wurden wir dafür von einer Dame beschimpft“, erinnert sich Schwarzburg. „Sie war Vermieterin und warf uns vor, damit die Kaufpreise im Schanzenviertel zu unterlaufen. Doch wir wollen im Viertel keine Preistreiber sein“, hebt Schwarzburg hervor. Dass das Projekt von den Anwohnern angenommen werde, zeige sich daran, dass die meisten Reservierungen für die Wohnungen bislang aus der Nachbarschaft kämen.

Staatsrat Michael Sachs von der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) ist erfreut, dass Investoren inzwischen freiwillig auch Freiflächen erschließen. „In einer immer dichter werdenden Stadt wird es darum gehen, solche Räume mehrfach zu nutzen und neue Nischen für die Freiraumnutzung zu erschließen.“ Auch die BSU arbeite gerade an einem Konzept, das diesen Veränderungsprozess der Verdichtung als Chance sehe und Mehrwerte für die Wohnqualität schaffe.