Die Funktion vieler Möbel und Accessoires ist in Wohnwelten im Popart-Stil eher nachrangig. Sie vermitteln eine Aura des Aufbruchs, verströmen Optimismus und Lebensfreude. Nicht nur die Klassiker erfreuen sich bei den Händlern zurzeit reger Nachfrage.

Schalenstühle aus Hartplastik in Knallrot, Quietschgelb und Himmelblau säumen den weißen Esstisch, aus dem Regal grüßt eine Armada kunterbunter Glasköpfe, die Titelseite einer ausländischen Tageszeitung dient als Motiv der Fototapete über dem Sideboard. Michael Eck, Inhaber der „Wäscherei“, hat es bei der Dekoration eines seiner zahlreichen, von der Stilepoche der Pop-Art inspirierten Ensembles im Verkaufsraum wieder einmal richtig krachen lassen. „Die Besucher reagieren extrem positiv auf unsere bunten Wohnwelten und lassen sich zunehmend davon inspirieren“, sagt Eck.

Diese Erkenntnis teilt Eck mit zahlreichen Kollegen. Pop-Art erlebt eine Renaissance in der Wohnkultur: Möbel, Accessoires und Textilien, inspiriert vom Design und der Farbwelt der 60er-Jahre, stehen bei den Verbrauchern derzeit wieder hoch im Kurs. Das zeigte nicht nur ein Rundgang auf den wichtigsten Möbelmessen der Branche wie der IMM in Köln, sondern vor allem das Angebot des Handels. Neben den Möbel-Klassikern finden sich hier auch zahlreiche von der Pop-Art-Bewegung inspirierte Trend-Möbel und Accessoires aus den Design-Abteilungen der Industrie oder unbekannter Provenienz, oft leicht konsumierbare und preiswerte Massenware aus Fernost. Ursula Geismann, Sprecherin vom Verband der Deutschen Möbelindustrie: „Pop-Art 2013 zeichnet sich aus durch knallbunte Primärfarben bei Wohnmöbeln, grafische Muster im Stil der 60er-Jahre bei Bezugsstoffen und Tapeten.“

Die neue Lust auf Farbe und ausgefallene Designs hat verschiedene Ursachen. Pop-Art-Möbel symbolisieren gerade für die junge Generation den Glanz und den kreativen Überschwang der Swinging Sixties. „Diese Jahre erscheinen aus heutiger Perspektive als eine Ära des Aufbruchs, in der alles möglich schien, gleichzeitig stand sie für geordnete Verhältnisse und emotionale Sicherheit. Diesen Spirit wollen sich viele Verbraucher mit Möbeln im Stil der Epoche in die eigenen vier Wände holen“, sagt der Trendexperte Prof. Dr. Ulrich Reinhardt von der Stiftung für Zukunftsfragen.

Ursula Geismann hat ein gestiegenes Bedürfnis nach Emotion als Auslöser für das Revival der Farben ausgemacht: „Mit leuchtenden Farben und Ornamenten bringen wir Wärme, Lebendigkeit und Optimismus in unsere Umgebung und schaffen einen Ausgleich zur hochtechnisierten Umwelt.“ Damals wie heute sind Pop-Art-Möbel von der plakativen Ästhetik und fast künstlichen Farbigkeit der Werbung inspiriert. Von Neongelb über Grellorange bis Grasgrün und Quietschblau sind konsequent alle typischen Knallfarben vertreten. Da leuchtende Farben als Stimmungsaufheller gelten, sind Pop-Art-Möbel, damals wie heute, stumme Therapeuten mit Langzeitwirkung.

Zu den Evergreens und Verkaufsschlagern der vergangenen Jahre zählt der von Verner Panton designte Monoblock-Freischwinger Panton Chair aus farbigem Kunststoff, mit dem der Däne Anfang 1960 die Pop-Art in der Wohnkultur etablierte. Auch seine Pendelleuchte Flower Pot habe sich über die vergangenen Jahrzehnte gut verkauft, so Heiko Hoops von Gärtner Internationale Möbel. Gefragt seien auch die Designs von Charles Eames, Gaetano Pesce,George Nelson, Achille Castiglioni oder Ettore Sottsass.

Gute Laune verbreitet nach wie vor die von Gaetano Pesce für B&B Italia im Jahr 1969 geschaffene Möbelserie UP mit dem Sesselklassiker UP 5. Sessel und Kugelhocker aus bunten Polyurethanschaumstoff (mit bunten, flexiblen Bezügen) wurden in flachen Schachteln verkauft und entfalteten sich erst vor Ort durch eine chemische Reaktion mit Sauerstoff. „Das ist heute absolut undenkbar, weil umweltschädlich, aber damals war allein das Auspacken der Produkte ein Happening“, so Hoops.

Zahlreiche Pop-Art-Klassiker werden heute von der italienischen Manufaktur Gufram (www.gufram.it) hergestellt, darunter auch das von Salvador Dalí inspirierte Lippensofa Bocca in verschiedenen Farben, der Garderobenständer Cactus oder die Pratone-Liegewiese der Gruppo Strum. Zu den Design-Highlights und bis heute reproduzierten Klassikern der Pop-Art-Ära zählt auch der von Eero Aarnio designte Ball Chair Lounge Sessel von Adelta.

Auch die Möbel und Accessoires von Memphis (www.memphis-milano.it) haben Maßstäbe gesetzt. Die Designer um Ettore Sotsass schufen in den 80er-Jahren zahlreiche Möbelklassiker im Geist der Pop-Art. Sie zeichnen sich aus durch zweckentfremdetes Design mit elementaren Formen wie Würfeln oder Kugeln sowie Anleihen aus der Natur und Tierwelt. Nach wie vor gefragt sind unter anderem das Regal Carlton, die „Super“-Leuchte mit den sechs Kugeln (auch Igelleuchte genannt) sowie der Stuhl First von Michele de Luca.

Wie sehr sich der Trend demokratisiert hat, zeigt der aktuelle Ikea-Katalog: Auf dem Titel prangt ein Sessel in Knallorange, daneben Stühle in Froschgrün und Zitrusgelb.

Function follows form: Pop-Art-Möbel stehen für die Umkehr des bis dahin gültigen Design-Mantras der Bauhaus-Ära „Form follows function“. Statt ihre Entwürfe dem Diktat optimaler Zweckerfüllung zu unterwerfen, setzten sie diesen Grundsatz mit lustvoller Inbrunst und spielerischer Leichtigkeit außer Kraft.

Statt Funktionalität stand die dekorative Wirkung im Vordergrund. So genügen viele Möbelklassiker der Pop-Art nicht immer den Ansprüchen an Ergonomie oder Bequemlichkeit, dafür oft als Kunstobjekte voller Fantasie und überbordender Experimentierfreude, die jedem Raum eine zusätzliche ästhetische Dimension und Tiefenschärfe verleihen. Heiko Hoops: „Die Käufer erwarten keine Bequemlichkeit oder optimale Funktion, sondern wollen ihr Ambiente mit ikonenhaften Möbeln aufwerten.“ Gerade habe ein Golfclub die Golfball-Sitzskulptur von Gufram angefragt. Vor allem die Formensprache fasziniert bis heute. Als Gegenentwurf zu den Bauhaus-Möbeln zeichnen sich viele Pop-Art-Entwürfe durch runde, geschwungene Linien aus. Viele sind asymmetrisch, verspielt und schon auf den ersten Blick eher Objekt der Begierde denn Gebrauchsgegenstand „Damit bringt Pop-Art Frische, Esprit und Lebensfreude in jede noch so aufgeräumte und funktionale Umgebung. Wer sich zu diesem Stil bekennt zeigt außerdem, dass er das Unkonventionelle schätzt“, sagt Design-Expertin Elke Becker.

Auch Wohnaccessoires im Pop-Art-Stil haben Wirkung. Das Angebot an Steh- und Deckenlampen zeigt die Lust der Designer, korrekte Wohnlandschaften mit unkonventionellen Formen in Knallfarben zu kontrastieren.

Aber: Weniger ist mehr. Damals wie heute kommen schrill-bunte Pop-Art-Möbel oder auffällige Accessoires am besten bewusst inszeniert als Eyecatcher zur Geltung. „Bei der Einrichtung ist Fingerspitzengefühl gefragt“, sagt Heiko Hoops. Ein Sessel mit grafischem Muster in Knallfarben könne spannender Kontrast zur gediegenen Wohnlandschaft in Schwarz-Weiß sein – und ein Hauch augenzwinkernde Nostalgie.