Weite Landschaften, Fensterbilder, Marmorimitationen: Kein Wunsch ist unerfüllbar, wenn es an einem attraktiven Ausblick fehlt. Darauf spezialisierte Handwerker setzen jedes Motiv um.

Zarte Blütenzweige, Kleiber und Schmetterlinge sollten die Wand zieren, gehalten in matten Farben und einem kontrastierenden, glänzenden Silber: Der Kunde, der die Wandmalerin Ingrid Heinsohn für die künstlerische Gestaltung seines Salons in einer Hamburger Villa beauftragte, wünschte sich das Flair chinesischer Seidentapeten. „Um größtmögliche Perfektion zu erreichen, musste ich die Fläche extrem glatt spachteln und schleifen, denn die hauchzarten Blattsilberquadrate schimmern umso intensiver, je ebener der Untergrund ist“, so die Künstlerin.

Wandmalereien erfreuen sich steigender Beliebtheit. Viele Menschen seien das puristische Diktat der Bauhaus-Ära, die uniforme Tristesse monochrom übermalter Raufasertapeten leid und besännen sich wieder auf den Charme historischer Maltechniken, sagen führende Vertreter der Kunstgattung. Dazu zählt die Illusionsmalerei Trompe l’oeil (Augentäuschung), bei der durch perspektivische Darstellung eine grenzenlose Weite der Landschaft oder ein Fensterbild eine triste Wand oder einen Lichtschacht verschönt. Auch ornamentale Oberflächen, historisierende Motive wie Marmor- oder Steinimitationen, Holz- und Tapetenmalereien, Schabloniertechniken oder Kohlezeichnungen zählen zum Repertoire der Künstler. „Eine Wand kann im Prinzip in jeder Technik mit allen Motiven in allen erdenklichen Farben gestaltet werden. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt“, sagt Raumkünstler Uwe J. Fehrmann.

Je nach Auftrag kommt das entsprechende Handwerkszeug zum Einsatz. Im Schwimmbad oder Badezimmer sind es wasserfeste Farben und im Kinderzimmer umweltfreundliche Abtönfarben. Zum Repertoire der Wandmaler gehören spezielle Pinsel, Wasserwaage, ein Laser, eine Schlagschnur, Lot, Naturschwämme, Kreiden und Federn. Ingrid Heinsohn: „Laser und Schlagschnur sind hilfreich bei der Übertragung des Entwurfs auf die Wand.“ Naturschwämme dagegen gäben eine schöne Struktur bei der Gestaltung von Sandsteinoberflächen. Federn schüfen interessante Effekte bei der Marmorierung von Wandflächen.

Die Sehnsucht nach mehr gestalterischer Opulenz, für „Kunst an der Wand“ steht im engen Zusammenhang mit dem anhaltenden Trend zum „Cocooning“, dem Rückzug in die heimische Sphäre als Gegenbewegung zur Globalisierung. „Mit der Konzentration auf das Privatleben, der gepflegten Geselligkeit im Kreis von Familie und Freunden wuchs der Wunsch nach kreativer und persönlicher Gestaltung der Wohnräume“, versucht die Hamburger Wandmalerin und Innenarchitektin Renée Charlotte Melms den Trend zu erklären. Hier seien Wand- und Deckengemälde die ideale künstlerische Ausdrucksform. „Sie spiegeln Stimmungen, Erinnerungen, Sehnsüchte und ästhetische Ansprüche der Bewohner und sind damit ein Spiegel ihrer Persönlichkeit.“

Auch die Sehnsucht nach Tradition und alter Handwerkskunst beflügelt die Nachfrage. Wandgemälde repräsentieren eine künstlerische Darstellungsform, die bis in die Urgeschichte der Menschheit zurückreicht: von der Höhlenmalerei über die gemalte Schrift der Ägypter bis hin zu den Anfängen der ornamentalen, von Proportionen bestimmten Dekorations-Malerei in der Antike, bei der erstmals neben Darstellungen von Landschaften und menschlichem Leben auch architektonische Elemente wie Stuck, Säulen oder Kassetten in die Gesamtkomposition einbezogen wurden.

Künstlerische Vorbilder der heutigen Architektur- und Illusionsmaler allerdings sind vor allem die Meister der italienischen Renaissance – allen voran Michelangelo – sowie später des Barock: Mit hoher gedanklicher und handwerklicher Präzision schufen sie exakte Perspektiven mit einer genauen Platzierung von Schatten und Licht, bildeten Nischen, Säulen, Vasen, Figuren und Landschaften fast naturgetreu ab und setzten damit bis heute gültige Maßstäbe für die künftigen Künstler-Generationen.

Am Anfang steht das innere Bild. Wer sein Schwimmbad, das Wohn- oder Kinderzimmer mit einer Wandmalerei neu inszenieren und aufwerten möchte, sollte sich zunächst eingehende Gedanken über das Motiv machen. Die gewünschte Darstellung sollte zu Größe, Stil und Möblierung des Raumes passen, andererseits einen persönlichen Bezug zu den Bewohnern haben. „Wer in einer großzügigen Altbauwohnung oder Villa lebt, die toskanische Landschaft liebt und sich täglich in dieser Wohlfühl-Atmosphäre seelisch aufladen will, hat beispielsweise sein Motiv gefunden“, sagt Ingrid Heinsohn.

Kunden zahlen nach Tagessätzen zwischen 700 und 1500 Euro

Andere Kunden, so Renée Charlotte Melms, wollen ihren Hund auch nach dessen Tod noch bei sich haben. Sie verewigte den Dackel einer Kunden in einem Trompe-l’Œil-Wandgemälde, sitzend in einer Fensternische. Gemalt wird, was der Auftraggeber wünscht: „Wir sind Künstler im Dienst der Kunden, unsere eigenen Vorstellungen hinsichtlich Bildkomposition oder Farbwahl spielen keine Rolle“, sagt Melms. Für diese Tätigkeit zahlen Kunden nach Tagessätzen zwischen 700 und 1500 Euro – je nach Komplexität des Auftrags und des künstlerischen Anspruchs. Inspiration liefert nicht zuletzt die Recherche nach dem richtigen „Wand-Künstler“. Jeder Maler hat im Laufe seiner Ausbildung – oft an einer Kunsthochschule oder durch Fortbildungen – einen unverwechselbaren Stil entwickelt. Ein Blick auf eine Website oder ein Atelierbesuch genügt meist, um eine Idee von der kreativen Handschrift und den handwerklichen Möglichkeiten zu bekommen.

Beim Kennenlern-Termin vor Ort zeigt sich dann, ob die Vorstellungen harmonieren. Das Künstlerpaar Günter Woost und Ingrid Sörensen von Horus Wandmalereien bestellen ihre Kunden gern in ihren Showroom in Hamburg, in dem zahlreiche Beispiele ihrer Arbeiten zu sehen sind. „Es fällt leichter, eigene Wünsche anhand bereits vorliegender Motive zu formulieren“, sagt Günter Woost. Die meisten Künstler loten auch in Gesprächen bei Kunden vor Ort deren Vorlieben und Bildideen aus und bringen sie anschließend in Form einer Skizze zu Papier. Ingrid Heinsohn: „Eine gute Grundlage, um gemeinsam dann Details zu planen.“

Oft kämen Kunden mit genauen Vorstellungen. Das Jugendzimmer der Tochter einer Hamburger Schmuckhändlerin hat Renée Charlotte Melms mit dem lebensgroßen Michael Jackson in typischer Tanzhaltung verewigt. „Die Eltern wollten ihre Tochter mit dem Gemälde ihres Idols überraschen. Die war so begeistert, dass sie mit ihrer Mutter vor dem Bild herumgehüpft ist.“