Nur wenige junge Mediziner gehen noch in die Provinz. Die Begründung: Ein langweiliger und schlecht bezahlter Job. Doch das täuscht.

Kiel/St. Margarethen. Die Zahlen sind bekannt, ihre Brisanz haben sie allerdings nicht verloren. Von den rund 1900 Hausärzten in Schleswig-Holstein sind mehr als die Hälfte über 50 Jahre alt, jeder Dritte ist schon über 60. In den nächsten Jahren werden bis zu 900 Hausärzte in den Ruhestand gehen, Nachwuchs in der gleichen Größenordnung ist nicht in Sicht. „Versorgungslücken, die jetzt schon vor allem im ländlichen Raum spürbar werden, werden in den kommenden Jahren noch größer“, sagt Marco Dethlefsen von der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH). Und das, obwohl die Menschen immer älter werden und die Zahl altersbedingter Erkrankungen wie Diabetes oder Herzprobleme steigt. „Die Frage ist, wer soll diese Menschen künftig behandeln?“

Eine, die das will, ist Mireille Untiedt. Die 40-Jährige ist seit einem halben Jahr niedergelassene Ärztin in St. Margarethen, und bisher hat sie den Schritt nicht bereut. Sie wollte raus aus ihrer Gemeinschaftspraxis in Elmshorn, in der sie sich nicht wohlgefühlt hat. Bei der Praxisbörse der KVSH sah sie, dass im Kreis Steinburg ein Praxis-Nachfolger gesucht wurde. Den Ort kannte sie nicht, obwohl er in der Nähe ihres derzeitigen Wohnortes liegt. Kein Wunder: Nur rund 900 Einwohner zählt das Dorf.

Der Praxisinhaber hatte jahrelang nach einem Nachfolger gesucht - doch keiner wollte in den kleinen Ort in der Wilstermarsch. Bis Untiedt kam. Das ganze Dorf habe mit angepackt, als es an die Renovierung der Praxis ging, erzählt sie. Die Feuerwehr habe beim Entrümpeln geholfen und die Gemeinde den Maler bezahlt. Jetzt strahlen die Praxisräume blütenweiß anstatt in Eiche dunkel. „Und am Eröffnungstag standen 89 Patienten vor der Tür, und viele hatten Präsentkörbe dabei“, meint die junge Landärztin erfreut.

Und wie sieht es mit den Arbeitszeiten aus? Zwölf Stunden in der Praxis und danach noch Hausbesuche? Keinen Urlaub und keine freien Wochenenden? „Ach nein“, sagt Untiedt. Sie hat sogar drei Nachmittage und einen Vormittag in der Woche frei, die Wochenenden sowieso. „Ich kann jeden Tag mit meinen Kindern frühstücken, sie anziehen, vom Kindergarten abholen und sie ins Bett bringen. Besser kann ich es gar nicht haben.“ Sogar Urlaub kann sie machen, weil eine Praxis in der Nähe dann die Vertretung übernimmt. Jetzt will sie mit ihrer Familie ganz nach St. Margarethen ziehen. Einen Kindergarten und eine Grundschule gibt es hier noch.

Damit ist St. Margarethen ein gutes Beispiel dafür, dass sich auch die Gemeinden bewegen müssen. Junge Ärzte gehen nur dahin, wo es attraktiv ist, und nicht dorthin, wo Kindergärten und Schulen geschlossen werden, wie KVSH-Sprecher Dethlefsen sagt. Die KVSH kooperiert mit dem Schleswig-Holsteinischen Gemeindetag, gemeinsam wird nach Lösungen gesucht, wie man Landärzte gewinnen kann. „Auch die Gemeinden müssen umdenken, wenn sie Ärzte haben wollen.“

Das Ganze ist Teil eines Programms „Land.Arzt.Leben!“, das die KVSH vor knapp zwei Jahren gestartet hat. Daneben hat sie beispielsweise den Bereitschaftsdienst reformiert – weswegen Ärzte wie Untiedt jetzt Wochenenden und Nächte frei haben – und Medizinstudenten über die Hausarzttätigkeit informiert werden. „Wir haben gemerkt, dass viele Studenten überhaupt keine Ahnung haben, was es bedeutet, Hausarzt zu sein und auf dem Land zu praktizieren.“

Eine, die sich informiert hat, ist Victoria Oberländer. Die 23-jährige Hamburgerin studiert in Kiel im sechsten Semester Medizin. Eigentlich will sie in die Forschung. „Das ist meins.“ Biochemie, Onkologie und Neurologie sind die Fachrichtungen, die sie am meisten interessieren. Von sich sagt sie, dass sie eigentlich ein Stadtmensch ist. „Ich bin auch nie mit dem Land in Berührung gekommen.“ Bis sie die KVSH-Kampagne gesehen hat.

Mittlerweile hat sie ein etwas anderes Bild von der Allgemeinmedizin. „Das ist doch nicht so öde, wie alle denken.“ Sie könnte sich sogar vorstellen, eines ihrer Praktika bei einem Hausarzt zu machen. Vielleicht sogar auf dem Land – auch weil die KVSH dies mit einem Taschengeld honoriert. Normalerweise bekommen die Studenten nichts. Oberländer favorisiert immer noch eine Karriere in der Forschung, ein Leben in der Stadt. Aber sie ist ins Grübeln gekommen.

Auch Neu-Landärztin Untiedt rät zu einem Praktikum in einer Praxis in der Provinz. Und man sollte einiges mitbringen, bevor man diesen Schritt macht. „Man sollte erfahren sein, viele verschiedene Krankheitsbilder kennen und die Privat- und Kassenabrechnungen selber können. Das muss man sich in seiner Weiterbildungszeit unbedingt aneignen.“ In der Stadt liefen die Leute bei einer Erkältung direkt zum Facharzt, auf dem Land nicht: „Ich hatte in dieser Woche schon eine Thrombose, einen Herzinfarkt und einen Darmverschluss.“