Was einige für lebensnotwendig halten, ist laut Experten überflüssig: die Fütterung von Vögeln. Es gebe keinen Einfluss auf das Gewicht.

Schlüchtern. Die Blaumeise ruht in Rückenlage regungslos in der Hand von Karl-Heinz Schmidt, ihr Herz klopft unter der gefiederten Brust. „Das Exemplar wiegt 11,9 Gramm“, sagt der Biologe, nachdem er den Vogel mit der Federwaage gewogen und wieder hat fliegen lassen. Schmidt leitet die Forschungsstation Schlüchtern, ehemals eine Außenstelle der Frankfurter Goethe-Universität, heute als Verein geführt. Zusatznahrung im Winter beeinflusse das Gewicht eines Vogels nicht und habe auch sonst keinen Effekt, sagt der Biologe. „Trotzdem ist ein Vogelhäuschen etwas Wunderschönes, ich rate immer dazu.“

Die in den veralteten Computern der Forschungsstation im osthessischen Schlüchtern gespeicherten Langzeitdaten gelten unter Experten als einzigartig. Mitarbeiter, meist Studenten und ehrenamtliche Naturfreunde, kontrollieren seit 1970 fast täglich 1.500 Nistplätze in den Wäldern des Kinzigtals, fangen in aufgespannten Netzen Vögel ein, wiegen, vermessen und beringen sie auch meist. „Es sind Hunderttausende Einzeldaten, die wir festgehalten haben“, berichtet Schmidt. „Dieses Bio-Monitoring erlaubt uns Antworten auch auf besondere Fragestellungen.“

Dazu gehört die lange Zeit unbeantwortete Frage, ob ein mit Futter angebotenes Vogelhäuschen im Garten den Piepmätzen eigentlich nützt oder eher Schaden anrichtet. Auch manche Experten befürchteten, zu schwache Exemplare unter den Vögeln könnten durch die vom Menschen gelieferte Nahrung den Winter überleben und den Genpool des gefiederten Volks deformieren. Die Schlüchterner Forscher haben daher schon vor Jahrzehnten kontrollierte Nistplätze teilweise auch mit Futterstellen ausgestattet und die Daten inzwischen ausgewertet.

„Zusatznahrung hat überhaupt keine Auswirkung“, betont Schmidt. Über zehn Jahre lang verglich die Forschungsstation die Daten von Vögeln, die sich ihr Futter selbst suchten, und von Artgenossen, die an ihren Nistplätzen Zugang zu ausgebrachten Körnern und Fett hatten. „Gewicht, Lebensalter, Vorkommen, Eieranzahl, Eiergröße – es gibt statistisch keinen Unterschied“, erläutert der Biologe. Kein Piepmatz braucht im Winter ein Vogelhäuschen. „Aber ich freue mich über jeden, der eins aufstellt.“

Denn ein Futterplatz im Garten erlaube „den Zugang zur belebten Natur“. Je nach Art schlagen Vögel mit unterschiedlichsten Methoden Körner auf, sie konkurrieren um Plätze und bevorzugen bestimmte Tageszeiten. „Wer das beobachten kann, entdeckt doch gern seine Liebe zur Kreatur“, sagt Schmidt und schwört, auf diese Weise seien er selbst und Generationen seiner Studenten zu Naturfreunden geworden.

Klaus Richarz, Leiter der in Frankfurt-Fechenheim betriebenen staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland, bestätigt die Einschätzung seines Kollegen: „Alle bei uns überwinternden Vögel sind an die kalte Jahreszeit angepasst, biologisch macht Füttern keinen Sinn.“ Aber auch Richarz ermuntert Schüler, die mit ihren Klassen zu Besuch kommen, zum Aufstellen eines Vogelhäuschens. „Es macht Freude“, begründet der Biologe seine Empfehlung.

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Die in Schlüchtern lagernden Erhebungsreihen seien ein „ungehobener Schatz“, findet Richarz. Zu Beginn arbeiteten die Studenten noch ohne EDV, sie beschrieben Kärtchen. Im Fundus der Forschungsstation lauerten Antworten auf Fragen, die sich heute vielleicht noch gar nicht stellen, sagt Richarz. „Weltweit kenne ich keine zweite vergleichbare Langzeit-Datensammlung.“ Was die Schlüchterner bräuchten, seien moderne PCs mit großen Festplatten, stellt der Leiter der Vogelschutzwarte fest.

Karl-Heinz Schmidt steht im kleinen Computerraum seiner Forschungsstation in Schlüchtern. Drei alte PCs brummen, nicht mal Flachbildschirme haben bisher hier Einzug gehalten. Aber wenn bald moderne Computer da sind, vertraut Schmidt auf die Unterstützung seiner Studenten. „Die können hier ein neues Berufsbild entdecken“, sagt der von Karteischränken umgebene Vogelkundler. „Den IT-Biologen.“