Jährlich verschwinden in Europa 10 000 Boote. Spezialisten in Hamburg und Konstanz sind den Tätern auf der Spur

Hamburg. Wie kann ein ganzes Schiff einfach so verschwinden? Und warum trifft es ausgerechnet mich? Diese Gedanken gehen Eignern von gestohlenen Booten durch den Kopf. Die meisten Diebstähle ereignen sich, wenn die Boote im Wasser oder auf Trailern liegen. Der Herbst ist aus Sicht der Diebe eine günstige Zeit, denn zum einen fallen Boottransporte kaum auf, weil viele Eigner ihre gutes Stück ins Winterlager überführen, zum anderen denken viele Bootsfans zum Beginn der Messesaison an den Kauf eines neuen (Gebraucht-)Bootes.

Pro Jahr werden in Europa mehr als 10 000 Boote gestohlen. Allein in Deutschland "verschwanden" im vergangenen Jahr 327 Boote, davon 55 in Schleswig-Holstein und acht in Hamburg. Zusätzlich wurden 1141 Motoren geklaut, 116 im nördlichsten Bundesland und 29 in Hamburg.

Am Morgen des 29. April dieses Jahres traute der Hamburger Kaufmann Henri Kramer seinen Augen nicht: Als er im Hafen des Mühlenberger Segel-Clubs eintraf, um mit seinem Jollenkreuzer "Polaris" einen kleinen Törn zu unternehmen, war das Schiff nicht an seinem Liegeplatz. Erst am Abend zuvor hatte der erfahrene Segler sein im Winterlager aufwendig restauriertes Holzschmuckstück dorthin gebracht. Kramer meldete den Diebstahl der Polizei und der Versicherung. Bereits mittags wurde die "Polaris" gefunden, doch sie war schwer beschädigt.

Die Täter konnten nicht ermittelt werden. Zeugen hatten in der Tatnacht vier Jugendliche auf dem Boot gesehen. Die müssen es laut Rekonstruktion etwa auf Höhe des Wasebergs ungesichert liegen gelassen haben. Den Schaden in Höhe von rund 10 000 Euro trägt die Versicherung. "Die Narben im Holz aber sind geblieben", sagt Kramer.

Auf der Haben-Seite der Diebstahlstatistik stand 2010 die Rekordzahl sichergestellter Sportboote, Jetskis und Außenborder seit dem Bestehen des in Konstanz angesiedelten Kompetenzzentrums Bootskriminalität (KBK). Die Experten kümmern sich seit 2001 auch überregional um die Sportboot-Kriminalität, um den grenzüberschreitenden Herausforderungen konzentrierter begegnen zu können. 1800 Anfragen gingen 2010 bei den Konstanzer Fahndern ein. Insgesamt konnten sie in Zusammenarbeit mit den örtlich zuständigen Dienststellen und internationalen Fahndern Diebesgut im Gesamtwert von 2,8 Millionen Euro sicherstellen.

In Hamburg gilt das Unternehmen Marine Claims Service (MCS) als erste Adresse, wenn es um die Jagd auf die Diebe geht. Das kleine, aber feine Team unterhält weltweite Kontakte und schickt, meist im Auftrag der Versicherer, eigene Detektive auf die Suche nach gestohlenen Booten rund um den Globus. "Unsere wichtigsten Waffen sind Schnelligkeit, Flexibilität und ein gut gepflegtes weltweites Netzwerk", sagt eine Fahnderin. Auf der MCS-Website www.stolenboats.eu sind alte und aktuelle Diebstähle aufgelistet und öffentlich einsehbar. Die Liste ist ein entscheidender Baustein im Kampf gegen die Wassersportkriminalität.

Auf dieser Liste stand auch die Yacht eines Frankfurter Geschäftsmannes, die im Oktober 2010 in Palma de Mallorca gestohlen wurde. Mithilfe der MCS-Detektive und von Hinweisen aus Seglerkreisen gelang es, das Boot nach knapp zwei Monaten in den Kapverden sicherzustellen. Als sein größtes Aha-Erlebnis bezeichnete der Eigner, der nicht genannt werden will, später die Erkenntnis, dass Yachten kaum zu sichern sind. Als er sich erkundigte, wie man Schotts und Motoren besser sichern könnte, grinste ein befragter Servicemann nur und sagte, er könne jederzeit zehn weitere Motorenschlüssel aus einem Laden holen, die den Motor starten würden. Auch geheime Schalter zum zeitverzögerten Anspringen des Motors seien für Profis schnell zu knacken. Und dickere Schlösser verleiteten die Täter dazu, Luken aufzubrechen und damit noch mehr Schaden anzurichten. Der Bestohlene hat inzwischen ein verstecktes GPS-Tracking an Bord. Das Gerät schickt seinem Eigner automatisch eine E-Mail, wenn ein bestimmtes Revier verlassen wird.